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Kalter Zwilling

Kalter Zwilling

Titel: Kalter Zwilling
Autoren: Catherine Shepherd
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Petrischale. Die Spermien waren gereinigt und bereit für den Endspurt. Dies war seine Lieblingsphase. Gleich würde er sie mit den Eizellen zusammenbringen und dann für 24 Stunden in den Brutschrank stellen. Schon morgen würde er wissen, wie viele der Eizellen befruchtet worden waren. Unter dem Mikroskop konnte er erkennen, ob die Spermien in die Eizelle eingedrungen waren und ob sich zwei Vorkerne gebildet hatten. Dann würde er noch weitere 24 Stunden abwarten müssen, bis winzige Embryos heranreiften. Kleine Zellhaufen - im Vier- bis Acht-Zell-Stadium, welche der Arzt mit Hilfe einer langen Pipette in die Gebärmutter der Patientin einpflanzte.
    Er, Hans-Peter Mundscheit, war der Erzeuger dieser Embryos. Nicht der biologische Vater. Nein, natürlich nicht. Aber er verhalf all jenen Paaren zum Kindersegen, bei denen es auf herkömmlichem Wege nicht funktionierte. Seinen Fähigkeiten als leitender Biologe des IVF-Labors an der Universität zu Köln war es zu verdanken, dass Hunderte von Kindern im Jahr das Licht der Welt erblickten, die es eigentlich nie gegeben hätte. Er erschuf Leben.
    Ein Geräusch riss ihn aus seinen Gedanken. Im Nebenzimmer hatte eine Patientin auf dem Stuhl Platz genommen. Ihre nackten Beine waren weit gespreizt und ein greller Neonstrahl leuchtete in ihr Innerstes hinein. Durch das kleine Fenster in der Labortür konnte er deutlich die rosa Färbung ihrer Schamlippen erkennen. Mit glänzendem Edelstahl untersuchte der Arzt ihre Geschlechtsorgane. Die Frau hielt die Augen geschlossen, trotzdem war sie nicht entspannt. Mundscheit konnte ihr die Nervosität regelrecht ansehen. Ihre Lippen waren zu einem schmalen Strich aufeinandergepresst, die Hände hielt sie ineinander verkrampft über ihrem Bauch.
    »Es sieht alles sehr gut aus«, sagte der Arzt mit ruhiger Stimme und legte das Instrument aus der Hand. Dann schaltete er einen kleinen Monitor an und griff nach dem Stab-Ultraschallkopf. Er streifte ein Kondom darüber und spritzte durchsichtiges Gleitgel darauf. Dann führte er das Gerät in die Vagina der Patientin ein, ohne dabei die Augen vom Monitor abzuwenden. Ein kurzer Ruck ging durch ihren Körper, als das kalte Gel ihre Schamlippen berührte, doch sie hielt ihre Augen weiter geschlossen.
    »Die Schleimhaut ist hoch genug aufgebaut. Wir können den Transfer morgen durchführen.«
    Zufrieden zog der Arzt die Vaginalsonde heraus und warf das Kondom in einen Abfalleimer.
    »Sie können sich wieder anziehen«, mit diesen Worten drückte er ihr ein Papiertuch in die Hand und ging zu seinem Schreibtisch hinüber. Die junge Frau wischte sich das Gel von ihren Schamlippen und verschwand hinter einem schäbigen blauen Vorhang.
    »Wie viele Embryos sollen wir transferieren? Wir haben fünf befruchtete Eizellen, und drei davon haben sich hervorragend weiterentwickelt.«
    Der Arzt sah die junge Frau fragend an, die jetzt - immer noch an ihrer Bluse nestelnd - auf dem Patientenstuhl direkt vor seinem Schreibtisch saß. Sie war ohne Zweifel attraktiv. Ihre grünen Augen waren von langen dunklen Wimpern umrandet, und ihr langes brünettes Haar lockte sich über ihren Schultern.
    »Ich möchte nur einen Embryo zurückhaben«, antwortete sie, ohne zu zögern.
    Der Arzt runzelte die Stirn. »Sie wissen doch, dass die Chance auf eine Schwangerschaft am größten ist, wenn Sie sich mindestens zwei Embryos transferieren lassen?«
    »Ja, das weiß ich. Aber ich habe mich entschieden. Suchen Sie einen aus und vernichten Sie den Rest.« Mit diesen Worten deutete die junge Frau ein nervöses Lächeln an und erhob sich.
    »Ja, aber ...«
    »Professor Neuhaus«, unterbrach sie ihn diesmal forsch, »ich sagte doch, ich habe mich entschieden.« Wieder schüchtern fügte sie hinzu: »Bitte belassen wir es dabei.«
    Sie reichte ihm die Hand zum Abschied und wandte sich dem Ausgang zu. Beim Hinausgehen blickte sie für einen kurzen Moment nach links und starrte durch den Fensterschlitz der leicht geöffneten Labortür. Hans-Peter Mundscheit zuckte heftig zurück. Sie hatte ihm direkt in die Augen gesehen! Nein, das konnte nicht sein, versuchte er sich zu beruhigen. Das Glas war von der anderen Seite verspiegelt. Sie konnte nicht hindurchblicken. Doch ihre Augen verfolgten ihn. Schweißgebadet wachte Mundscheit auf. Wie jedes Mal, wenn er diesen Traum hatte.
     
     
    ...
     
     
    Kommissar Oliver Bergmann stand vor seinem Spiegel im Bad und reckte angestrengt das stopplige Kinn empor. Seine schwarzen Haare standen
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