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Kalter Fels

Kalter Fels

Titel: Kalter Fels
Autoren: Stefan Koenig
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hier eine Nacht zu verbringen«, schwärmte Pablo.
    Und Marielle stimmte ihm zu. »Vielleicht zum Abschluss unseres Kletterurlaubs?«
    »Warum erst am Schluss?«, sagte er. »Es wäre doch super, Silvester hier zu feiern!«
    * * *
     
    Paul Schwarzenbacher rollte durch die Innsbrucker Altstadt. Der Schnee, der in den letzten Tagen gefallen war, lag zu graubraunen Haufen zusammengeschoben an Straßenrändern und Hausecken. Die Stadt war ruhig, ruhiger als sonst. An Silvester würden die Touristenscharen wieder hereinbrechen, würden die Fußgängerzone rund ums Goldene Dachl belagern und ihre Freude haben am Feuerwerk, das noch die Berge jenseits des Inns erhellte. Jetzt, zwischen den Feiertagen, waren es vor allem die Einheimischen, die unterwegs waren. Missglückte Weihnachtsgeschenke wurden umgetauscht, und wer nicht beim Skifahren war oder, alternativ, sich nicht in sonnigere Gefilde geflüchtet hatte, traf sich in den Cafés, Beisln, Restaurants. Der Stress der Vorweihnachtszeit war vorüber, das emotional grenzwertige Fest auch – jetzt kam für viele die eigentliche »staade Zeit«. Und dann gab es natürlich noch die Schnäppchenjäger, Leute wie Schwarzenbacher, die genau wussten, dass viele Dinge gleich nach den Weihnachtsfeiertagen erheblich günstiger zu bekommen waren als davor.
    Schwarzenbacher lenkte seinen Rollstuhl in die Maria-Theresien-Straße und fuhr zur Tyrolia-Buchhandlung. Die Neuerscheinungen interessierten ihn nicht. Auch das hatte ihn seine Erkrankung gelehrt: Es macht keinen Sinn, der Erste sein zu wollen. Er stöberte bei Romanen, deren Erscheinungsjahr schon ein wenig zurücklag. Fand einen Vargas Llosa für sechs Euro neunzig zum Beispiel. Hardcover, der Umschlag minimal eingerissen. Entschied sich dann aber für David Gutersons »Schnee, der auf Zedern fällt« – als preisreduziertes Taschenbuch für drei fünfzig.
    »Das nehm ich mit«, sagte er an der Kasse und reichte der Verkäuferin das Buch hinauf. »Könnten Sie es mir auch einpacken?«
    »Gern«, sagte die junge Frau. »Soll es noch weihnachtlich sein oder neutral?«
    »Das ist egal«, sagte Schwarzenbacher. »Einfach irgendwie einpacken.«
    Als er gezahlt hatte, fiel ihm noch etwas ein. Ein Buch, das er sich besorgen wollte, von dem er aber nichts weiter wusste als das Grundthema, um das es darin ging.
    »Ich seh im Computer nach«, sagte die Verkäuferin. »Den Namen des Autors wissen Sie auch nicht?«
    »Nein. Nur dass es um Gerichtsmedizin geht. Muss das Begleitbuch zu einer Ausstellung sein, die in Berlin gezeigt worden ist. Aber ich könnte natürlich erst mal selbst im Internet suchen …«
    »Nein, nein«, sagte die Frau. »Dazu sind wir ja da. Das werden wir schon finden.«
    Sie fand es aber nicht. Fand andere Titel, die sie Schwarzenbacher empfehlen wollte. »Also«, sagte sie, »da hätte ich ›Dem Tod auf der Spur‹. Untertitel: ›Zwölf spektakuläre Fälle aus der Rechtsmedizin‹. Von einem Michael Tso…«
    »Nein, nein, nein«, wehrte Schwarzenbacher ab. »Das kenn ich. Das ist nur ein Lesebuch. Das andere, das ich meine, muss viele Abbildungen haben. Sehr detaillierte Abbildungen.«
    Er sah zur Buchhändlerin hinauf. Irgendetwas in ihrem scheuen Blick provozierte ihn, sodass er hinzufügte: »Es sind diese Abbildungen, die mich interessieren …«
    * * *
     
    Am Nachmittag des 31. Dezember wünschten Marielle und Pablo dem schnurrbärtigen Herbergsvater Jean-Pierre einen guten Rutsch ins neue Jahr, sagten ihm, dass sie die Nacht draußen verbringen würden, er solle sich keine Sorgen machen, und dass sie spätestens am nächsten Nachmittag wieder zurück wären. Dann schulterten sie die vollgepackten Rucksäcke und machten sich auf den Weg: hinab ins En Vau und dann auf einem Steig hinauf zu ihrem Plateau.
    Es war eine Plage, denn die Rucksäcke waren schwer, und die Isomatten ragten darüber hinaus. Damit enge Kaminrinnen hinaufzukommen war alles andere als einfach.
    Aber dann waren sie oben, fanden weit vorn an der ins Meer geschobenen Landzunge einen ebenen Platz, und hier packten sie alles aus: die Matten, die Schlafsäcke, eine Flasche Champagner, eine Flasche 7 Up und eine Flasche Mineralwasser. Eine große Stange Baguette hatte Pablo an den Skihalterungen außen am Rucksack befestigt gehabt. Das restliche »Festmahl« war in Tupperboxen verstaut: Sie hatten im Supermarkt in Cassis zwei Packungen tiefgekühlter Krabben gekauft, Mayonnaise in der Tube, ein Stück Bistrosalami und an der
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