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Kalteis

Kalteis

Titel: Kalteis
Autoren: Andrea Maria Schenkel
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Füßen über ausgetrocknete, stau bige Wege, von Morgentau feuchte Wiesen gelaufen war, durch Pfützen. Matsch zwischen den Zehen. Daran, dass ihre Zehen immer die kleinsten und rundesten gewesen waren, wie sie selbst immer die rundeste und kleinste von allen gewesen war, daran dachte sie jetzt. Erst als der Motorradfahrer die Türe hinter sich ins Schloss hat fallen lassen, ist sie aus ihren Gedanken zurückgekehrt, war wieder in dem Bett in dem Zimmer beim Soller. Der Motorradfahrer hatte, ehe er das Zimmer verließ, aus seiner Jackentasche etwas Geld geholt. Auf das Bett hat er es ihr gelegt. Auf den freien Platz neben ihren Füßen. Sie, die Kathie, hatte kurz hochgeschaut zu ihm, ihn angesehen, ohne ihn zu sehen. Nachdem die Tür sich geschlossen hatte, ist auch die Kathie aufgestanden. Die wärmende Bettdecke schob sie beiseite. Stand auf, zog sich die Kleider, die vom Vortag noch über dem Stuhl hingen, an. Sie griff nach dem Geld. Waschen konnte sie sich bei der Mitzi. Raus wollte sie aus dem Zimmer. Durch die Stadt laufen, über den Viktualienmarkt hinüber zum Mariahilfplatz. Die Motorradfahrer waren noch auf dem Hof. Verlegen standen sie neben ihrer Maschine. Der eine wollte noch ein Gespräch mit ihr anfangen. Was sie jetzt machen würde? Wo sie jetzt hingehe?
    Kathie ist ihm die Antwort schuldig geblieben, was hätte sie ihm auch sagen sollen, da sie selbst nicht wusste, was sie heute machen, wo sie hingehen würde. Was hätte ihr das genützt, oder hätte sie ihnen erzählen sollen von den Sommern mit den bloßen Beinen und von dem Glück, das sie damals empfunden hatte, wie sie mit ihren Füßen durch die Pfützen gewatet ist. Hätte sie ihm sagen sollen, dass jene Sommer die besten in ihrem Leben waren und dass sie heute Morgen, als sie dem einen der beiden beim Anziehen zugesehen hatte, ahnte, nein wusste, dass es auch die besten Sommer in ihrem ganzen Leben bleiben würden.
    Oder hätte sie erzählen sollen von dem Rot der Nähseide in ihrer Hand. Ein Rot, das sie wärmte wie das kurze Glück, das sie verspürt hatte, draußen an jenem Nachmittag mit dem Chauffeur. Was hätte ihr das genützt. Keine Lust hatte sie zu antworten, und so blieb sie stumm. Zuckte nur kurz mit ihrer Schulter und ging.  Ging hinüber Richtung Mariahilfplatz, den Weg, den sie mit dem Chauffeur gegangen war, vor einer Ewigkeit, die erst ein paar Tage her war und doch ein ganzes Leben. Ging vorbei an den Ständen der Marktfrauen. Die Reichenbachstraße entlang und über die Reichenbachbrücke. Auf der Brücke blieb sie kurz stehen, an der Stelle, an der der Chauffeur sie geküsst hatte. Ging immer weiter bis zum Mariahilfplatz. Der Kopf leer ohne Gedanken. Nur mit dem Hemd bekleidet hat ihr Mitzi die Tür aufgemacht. Im Hemd saß sie am Küchentisch der Kathie gegenüber. Der Kathie schob sie einen Hafen Kaffee hin. Diese legte beide Hände um die Tasse. Zog die Tasse näher an sich heran und spürte die Wärme in ihren klammen Fingern. Später hat Kathie dann das Geld der Motorradfahrer aus ihrer Tasche geholt und es auf den Tisch gelegt. Aufgestanden ist sie vom Stuhl und hinübergegangen zum Sofa. So wie sie war, hat sie sich auf das Sofa gelegt und ist eingeschlafen. Irgendwann im Laufe des Tages hat Mitzi die Wohnung verlassen, denn als Kathie aufstand, war sie alleine. Sie stand auf, wusch sich Gesicht, Hände und Scham. Zog sich an, setzte den kleinen, blauen Hut auf, schlüpfte in den grünen Mantel und ging.

Kathie
    Mittwoch, der 13. Oktober, war ein milder Herbsttag. Das Laub der Bäume und Sträucher hatte sich bereits ins Braunrot verfärbt. Johann Reiss fuhr mit seinem Bruder Alwin im Beiwagen auf der Landstraße hinaus Richtung Hohenschäftlarn. Früh waren sie aufgebrochen. Der herbstliche Morgennebel begann sich gerade aufzulösen. Die Sonne war bereits hin und wieder zu sehen. Es würde ein schöner Tag werden. Einer der letzten Spätsommertage dieses Jahres. Sie hatten München hinter sich gelassen. Auf den Straßen kaum Verkehr. Beide empfanden es als angenehm, sich treiben zu lassen, hinauszufahren ohne festes Ziel, anhalten, Brotzeit machen, weiterfahren, die Landschaft genießen. Hatten sie doch heute alle Zeit der Welt.
    Von Hohenschäftlarn aus ging es hinaus, vorbei am Kloster, weiter Richtung Säge. Kurz hinter dem »Bruckenfischer« bogen sie von der Hauptstraße ab. Nahmen die kleine Straße entlang in südlicher Richtung. Die Straße, mehr ein Feldweg, war ungeteert. Johann reduzierte
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