Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Kalte Stille - Kalte Stille

Titel: Kalte Stille - Kalte Stille
Autoren: Wulf Dorn
Vom Netzwerk:
Man hätte ihn retten können, wenn man Alfred geglaubt hätte. Aber wer glaubt schon einem paranoid Schizophrenen?«
    »Sie haben einen Sechsjährigen sich selbst überlassen?«
    Fleischer nickte. »Mir blieb keine andere Wahl, Jan.«
    Jan schloss die Augen. »Wie lange?«
    »Er ist erfroren, Jan«, sagte Fleischer mit leiser Stimme. »Wie du dich erinnern wirst, war es sehr kalt in jenem Winter. Es war wie Einschlafen, ohne wieder aufzuwachen. Du bist Arzt, Jan, du müsstest doch wissen, dass …«
    »Ich will wissen, wie lange!«
    Fleischer seufzte tief, dann zuckte er mit den Schultern. »Eine Woche.«
    »Eine Woche«, wiederholte Jan tonlos.
    Fleischer erhob sich und griff mit der Linken in seine Hosentasche, während er mit der anderen Hand die Waffe auf Jans Kopf richtete. »Wir alle hätten unseren Frieden
finden können, Jan. Als ich von deinem Zusammenbruch erfuhr, wollte ich alles wiedergutmachen. Ich bot dir eine faire Chance für einen Neuanfang. Du bist doch mein Sohn. Ich wollte nicht, dass du leidest. Und wer weiß, vielleicht hätte dann auch ich Erlösung gefunden. Aber nein, du musstest ja unbedingt weiter in der Vergangenheit herumstochern. Du und deine Freundin. Ihr habt euch von Marenburg aufhetzen lassen. Ich musste dem alten Trottel eine Lehre erteilen. Ein für alle Mal.«
    Jan sah zu ihm auf, sah in Fleischers Augen. Alle Angst war nun von ihm gewichen. Ihn erfüllte nur noch ein einziges Gefühl: abgrundtiefer Hass.
    »Ich habe in meinem Leben mit vielen Psychopathen zu tun gehabt«, sagte er mit ausdruckloser Stimme, »aber Sie sind der widerwärtigste von allen.«
    »Ich ein Psychopath?« Fleischer klang beinahe belustigt. »Ist dir eigentlich klar, was ihr angerichtet habt? Marenburg, du und deine Freundin. Rauh, Liebwerk und die kleine Nutte sind nur euretwegen gestorben. Ihr Tod geht auf euer Konto. Das kann man nicht so einfach unter den Tisch kehren, Jan. Jetzt nicht mehr. Dafür müsst ihr bezahlen. Wir müssen alle für unsere Schuld bezahlen. Ja, heute ist Zahltag.«
    Er zog Rauhs Feuerzeug hervor und hielt es so, dass Jan es sehen konnte. Das eingravierte C blitzte im Licht der Glühbirnen auf wie ein überirdisches Symbol.
    »Wieder so eine kleine Ironie des Lebens«, sagte er und klopfte mit dem Pistolenlauf gegen das Feuerzeug. »Norberts Frau hieß ebenfalls Carmen, auch wenn sie diesen Namen bestimmt nicht verdient hatte. Und weil wir gerade von Ironie reden: Weißt du eigentlich, woher ich wusste, dass ihr beide hier seid?«
    Jan durchfuhr es eiskalt. »Konni!«

    »Ja, dieser Konni ist ein netter Kerl«, nickte Fleischer. »Sehr folgsam. Als ich ihm gesagt habe, er bräuchte die Polizei nicht zu verständigen, gehorchte er sofort und ohne Widerrede.«
    Noch immer den Blick auf die Pistole gerichtet, spannte Jan die Muskeln an. »Und was haben Sie jetzt vor?«
    »Wie schon gesagt, Jan«, Fleischer ließ das Feuerzeug aufschnappen, und eine schlanke Flamme erschien, »heute ist der große Tag. Zeit, die Spuren der Vergangenheit endgültig zu verwischen. Rauh hat für seinen Verrat bezahlt, und auch Rudolf Marenburg wird bald für immer Ruhe geben. Ich denke, ich werde es wie einen Hirninfarkt aussehen lassen. Aber vorher werde ich noch deine Freundin von ihrer Schuld erlösen.«
    »Damit kommen Sie niemals durch!«
    Jan warf einen schnellen Blick zur Ausgangstür. Zu weit weg. Ehe er sie erreicht haben würde, hätte Fleischer ihn niedergeschossen.
    »Mach dir darüber keine Sorgen, mein Junge«, sagte Fleischer. »Schließ jetzt deinen Frieden. Die Zeit der Obsessionen ist für dich zu Ende.«
    Fleischer beugte sich mit dem Feuerzeug zu dem Kanister hinunter. Jan wusste, er musste alles auf eine Karte setzen. Bisher war sein Blatt in dieser Pokerpartie denkbar schlecht gewesen. Fleischer hatte die Pistole - eine P3 8, deren 9mm-Parabellum-Munition verheerende Schäden hervorrufen konnte, wie der tote Norbert Rauh anschaulich unter Beweis stellte. Alles, was Jan entgegenzusetzen hatte, war der Mut der Verzweiflung.
    Fleischer berührte mit der Flamme den Stofffetzen. Mit einem fauchenden Whump! flammte der Rest von Norbert Rauhs T-Shirt auf. Jan warf sich zur Seite, just
im selben Augenblick, in dem Fleischer sich wieder aufrichtete und mit der Waffe auf ihn zeigte.
    Es gab ein hässliches schmatzendes Geräusch, als Jan mit der Schulter voraus in der Blutlache landete. In einer einzigen Bewegung trat er mit aller Kraft hinter sich und setzte eine Kettenreaktion in Gang.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher