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Kalte Macht: Thriller (German Edition)

Kalte Macht: Thriller (German Edition)

Titel: Kalte Macht: Thriller (German Edition)
Autoren: Jan Faber
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Natascha zu der Ecke zu gehen, in der die bequemen Sessel und einige verlorene Straßenschachfiguren standen, sinnigerweise eine Dame nebst Bauern. Vermutlich setzte sie sich nie dorthin. Die Kanzlerin war die Effizienz in Person. Was nicht zielführend war, war unnötig, was der Sache nicht diente, nutzlos. Es hatte Jahre gedauert, bis ihre Berater es geschafft hatten, sie von der Notwendigkeit des Smalltalks mit ausländischen Staatsgästen zu überzeugen. Sie wollte immer sogleich ins Herz der Dinge vorstoßen, Schnörkel und Zierrat waren ihr nur überflüssiges Beiwerk.
    Natascha setzte sich auf den Stuhl an der gegenüberliegenden Seite des Tisches – es war der große Konferenztisch, auf dem sich Akten stapelten, den eigenen Schreibtisch empfand die Kanzlerin als unpraktisch und unübersichtlich – und stellte ihre Tasche auf den Boden. Im Hintergrund liefen stumm die Bilder mehrerer Sender auf Flachbildschirmen an der Wand. »Ich freue mich, dass Sie meinen Vorschlag angenommen haben.«
    »Es ehrt mich, dass Sie an mich gedacht haben.«
    »Nun, es geht nicht um die Ehre, sondern um die Sache. Ich habe Sie schon seit einigen Jahren sorgfältig beobachtet.« Die Kanzlerin ließ ihre Augen zum Handy gleiten, hielt kurz inne, dann fuhr sie fort: »Sie haben Ihre Sache gut gemacht in Schwerin. Und auch in den Ausschüssen.«
    »Na ja, es war trotzdem eher ein Wunder, dass ich in die Ausschüsse nachgerückt bin. Als Jungabgeordnete …«
    Die Kanzlerin blickte sie mit zweifelndem Blick von unten herauf an. »Das war kein Wunder, meine Liebe, das können Sie mir glauben.« Natascha spürte, wie ihre Hände feucht wurden. Ihr Herz schlug viel zu schnell. Komm schon, Natascha, sie will was von dir, nicht du von ihr! Obwohl ihr Bluffen nicht sonderlich lag, wagte sie ein Lächeln. »Wenn Sie das sagen … nehme ich das an«, sagte sie souveräner, als sie es selbst erwartet hatte. Unvermittelt nahm die Kanzlerin das Handy und tippte eine Nachricht. Dann legte sie es wieder weg, scannte aus den Augenwinkeln die Bildschirme mit den Nachrichtensendern und beugte sich etwas vor: »Dieses Haus ist groß. Ich habe Ihnen eine Mappe machen lassen, in der Ihre Aufgaben formuliert sind.« Sie reichte einen schmalen Ordner über den Tisch. »Ihre offiziellen Aufgaben. Es geht hauptsächlich um Struktur und Effizienz. Das Kanzleramt braucht eine straffere Organisation. Hier gibt es zu viele Mitarbeiter, von denen kein Mensch weiß, was sie eigentlich tun. Vermutlich wissen sie es selbst nicht.« Jeder andere hätte an der Stelle zumindest gelächelt. Doch die Miene der Kanzlerin war wie in Stein gemeißelt – einschließlich ihrer schweren Lider. Wie lange mochte sie schon nicht mehr richtig geschlafen haben? »Referate zusammenführen, Aufgaben neu verteilen, die Kommunikation nach außen, aber auch die interne neu definieren und ins Werk setzen, das sind für den Anfang die Kernbereiche. Natürlich aber auch das klassische Aufgabenfeld, der Austausch mit den anderen Ämtern von Premiers und Präsidenten und mit den Kanzleien der Despoten im Nahen und Mittleren Osten und in den Bundesländern.« Nun huschte doch ein süffisanter Anstrich über ihr Gesicht.
    Natascha nickte. »Und die inoffiziellen?«
    Für einen Augenblick schwieg die mächtigste Frau der Republik und ließ ihren Blick auf Natascha ruhen. Nein, sie durchleuchtete sie. Was immer sie in ihren Augen zu finden gehofft oder gefürchtet hatte, sie wischte es mit einer Geste beiseite, indem sie eine weitere Mappe zur Hand nahm. Natascha stockte der Atem. Es war ganz offensichtlich eine Akte über sie. Obenauf lagen kein Zeitungsartikel und kein Memo mit persönlichen Daten, obenauf lag eine Kopie ihrer Heiratsurkunde. »Die inoffiziellen Aufgaben, meine Liebe, müssen ein Geheimnis unter uns beiden bleiben.«
    *
    Eigentlich lohnte es sich kaum, immer wieder den Koffer zu packen, wenn er das Sommerhaus verließ, um nach Berlin zu fahren. Denn in der Stadtwohnung übernachtete er inzwischen viel seltener als draußen am See, und wenn er dort war, blieb er nie lange. Trotzdem wuchtete er den Trolley, den er auch als Handgepäck nutzte, auf den Rücksitz und nahm die Schmutzwäsche in einem extra Sack mit, den er in den Kofferraum warf. Er war gerade dabei, sich eine CD für die Fahrt herauszusuchen, etwas Leichtes, bei dem er seinen Gedanken nachhängen konnte, da klopfte es an die Beifahrertür. Henrik Eusterbeck ließ die Scheibe herunter und blickte überrascht in
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