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Kalte Herzen

Kalte Herzen

Titel: Kalte Herzen
Autoren: Tess Gerritsen
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ziehen, verstehen Sie? Jeder hat Tagträume vom Leben auf dem Land, aber wirklich hinziehen will keiner.«
    »Ich jedenfalls nicht«, sagte Elaine.
    »Ich bin in einer Kleinstadt aufgewachsen«, warf Abby ein.
    »Belfast, in Maine. Ich konnte es kaum erwarten, dort wegzukommen.«
    »So stelle ich mir das auch vor«, sagte Elaine. »Jeder brennt darauf, in die Zivilisation zu kommen.«
    »Na ja, so schlimm war es nun auch wieder nicht.«
    »Aber Sie würden nicht dorthin zurückkehren, oder?«
    Abby zögerte. »Meine Eltern sind tot, und meine beiden Schwestern sind aus Maine weggezogen. Also habe ich keinen Grund, dorthin zurückzukehren, während ich eine Menge Gründe habe, hierzubleiben.«
    »Es war bloß eine Gedankenspielerei«, betonte Aaron und nahm einen großen Schluck von seinem Drink. »Ich habe es nie ernsthaft erwogen.«
    In dem nachfolgenden verlegenen Schweigen hörte Abby, wie ihr Name gerufen wurde. Sie drehte sich um und sah Mark, der ihr zuwinkte.
    »Entschuldigen Sie«, bat sie und ging über den Rasen zu ihm.
    »Archer gibt eine Führung durch sein inneres Heiligtum«, sagte Mark.
    »Welches innere Heiligtum?«
    »Komm mit. Du wirst schon sehen.« Er nahm ihre Hand und führte sie über die Terrasse ins Haus und die Treppe hinauf in den ersten Stock. Abby war bisher erst einmal im ersten Stock von Archers Haus gewesen, als sie die Ölgemälde auf der Galerie bewundern sollte.
    Heute abend wurde sie zum ersten Mal in das Zimmer am Ende des Flures gebeten.
    Archer erwartete sie bereits. Auf einer Sitzgruppe aus Ledersesseln hatten schon Dr. Frank Zwick und Dr. Raj Mohandas Platz genommen. Doch Abby nahm kaum Notiz von den Anwesenden; der Raum selbst schlug sie in Bann.
    Sie stand in einem Museum für alte medizinische Instrumente.
    In Vitrinen waren eine Reihe von ebenso faszinierenden wie beängstigenden Geräten ausgestellt. Sie sah Skalpelle und Nierenschalen, Gefäße für Blutegel, Geburtszangen mit Backen, die den Schädel eines Neugeborenen zermalmen konnten.
    Über dem Kamin hing ein Ölgemälde: der Kampf zwischen dem Tod und einem Arzt um das Leben einer jungen Frau. Aus den Lautsprechern der Stereoanlage tönte ein Brandenburgisches Konzert.
    Archer drehte die Musik leiser, und das Zimmer wirkte auf einmal sehr still. Nur die Musik flüsterte verhalten im Hintergrund.
    »Kommt Aaron?« fragte Archer.
    »Er weiß Bescheid. Er wird bestimmt jeden Moment hiersein«, antwortete Mark.
    »Gut.« Archer lächelte Abby zu. »Was halten Sie von meiner kleinen Sammlung?«
    Sie betrachtete den Inhalt einer Vitrine. »Wirklich faszinierend. Bei manchen Instrumenten könnte ich nicht einmal sagen, wozu man sie benutzt hat.«
    Archer wies auf eine seltsame Apparatur mit Rollen und Zahnrädern. »Das ist ein interessantes Gerät. Damit wurden schwache Stromstöße erzeugt, die an allen möglichen Körperteilen angewendet wurden. Angeblich hat es von Frauenleiden bis Diabetes gegen fast alles geholfen. Komisch, nicht wahr? Welchen Unsinn uns die medizinische Wissenschaft glauben machen wollte!«
    Abby blieb vor dem Ölgemälde stehen und betrachtete das schwarz gewandete Abbild des Todes. Der Arzt als Held, der Arzt als Eroberer, dachte sie. Und das Objekt seiner Rettung war natürlich eine Frau. Eine schöne Frau. Die Tür ging auf.
    »Da ist er ja«, bemerkte Mark. »Wir haben uns schon gefragt, wo du bleibst, Aaron.«
    Aaron betrat das Zimmer. Er sagte nichts, sondern nickte nur, als er auf einem der Stühle Platz nahm.
    »Darf ich Ihr Glas noch einmal nachfüllen, Abby?« fragte Archer.
    »Danke, nein.«
    »Nicht einen kleinen Schuß Brandy? Mark fährt doch, oder?«
    Abby lächelte. »Also gut. Danke.«
    Archer schenkte Abby nach und gab ihr das Glas zurück. Ein eigenartiges Schweigen hatte sich über den Raum gelegt, als ob jeder auf die Erledigung dieser Formalität gewartet hätte. Dann fiel ihr auf, daß sie die einzige anwesende Assistenzärztin war.
    Bill Archer gab alle paar Monate eine Party wie diese, um die Assistenzärzte zu begrüßen, die turnusmäßig ihren Dienst in den Abteilungen Thorax- und Unfallchirurgie angetreten hatten. Im Moment mochten sechs oder sieben von ihnen unten im Haus oder im Garten sein, doch hier oben in Archers Privatgemach war nur das Transplantationsteam versammelt.
    Und Abby.
    Sie setzte sich neben Mark auf das Sofa und nippte an ihrem Drink. Sofort spürte sie die Wärme des Brandys und ihre Erregung über diese besondere Aufmerksamkeit. Anfangs hatte sie
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