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Kalte Haut

Kalte Haut

Titel: Kalte Haut
Autoren: Marcel Feige
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stieß ihr Neffe die Worte hervor. Dass seine eigene Tante einem Job als Polizistin nachging, schien er bis heute nicht begriffen zu haben. Oder man hatte es ihm noch nicht gesagt.
    »Darf ich mitkommen?«, fragte Eldin.
    »Bist du denn Polizist?«
    Er nickte heftig.
    »Ich dachte, du bist Fußballer?«
    Eldin zog eine Flunsch.
    »Übermorgen siehst du Teyze ja wieder«, mischte sich Seras Mutter ein. Sie überkreuzte die Hände und legte sie auf ihre Brust. »Und wegen Ilhami, Sera, brauchst du …«
    »Annecim, bitte!«
    »Ich wollte doch nur sagen, dass du nichts überstürzen sollst, aber du weißt, du würdest uns eine große Freude machen, wenn du …«
    »Nein!« Sera streifte sich ihre Lederjacke über. »Ich werde mich nicht mit ihm treffen.«
    »Aber dann müsstest du nicht mehr arbeiten gehen«, sagte Annecim.
    »Ich mag meine Arbeit.«
    »Das weiß ich ja, und wir sind auch stolz darauf, wirklich, dessen bist du dir hoffentlich bewusst. Aber schau, du wirst jetzt fünfunddreißig, und …«, sie seufzte, »dein Baba macht sich doch nur Sorgen.«
    »Um mich?« Im Flurspiegel richtete Sera schnell noch ihr Haar. Der missbilligende Blick Annecims auf ihre kurzen, dunklen Strähnen, das schwarze Kapuzenshirt und die Lederjacke entging ihr nicht. »Oder was die Nachbarn, die Freunde und die Familie in Istanbul von seiner missratenen Tochter denken?«
    »Du weißt, Baba meint es nur gut mit dir.«
    »Und du noch viel mehr.« Sera drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. Selbst jetzt konnte sie auf ihre Mutter nicht sauer sein. Annecim war nur bemüht, zwischen den Fronten zu vermitteln. Gerne hätte Sera ihr den Kummer erspart. Bloß wie?
    »Aber am Samstag wirst du kommen, oder?«, flüsterte ihre Mutter.
    Übermorgen feierte Seras Vater seinen fünfundsechzigsten Geburtstag. Die ganze Familie war eingeladen worden. »Habe ich denn eine andere Wahl?«
    Noch ehe Annecim antworten konnte, war Sera zur Tür hinaus verschwunden und hatte ihre Familie in ihrer Wohnung allein gelassen.

6
    »Tania?« Die Stimme aus dem Telefonhörer klang brüchig. »Bist du das?«
    »Wer denn sonst?«, antwortete Tania Herzberg gereizt. »Du hast doch meine Nummer gewählt.«
    »Hätte ja auch sein können, dass eine deiner Kolleginnen an den Apparat geht.« Ein ersticktes Rülpsen ertönte. »Oder einer deiner Kollegen.«
    Tania schickte ihren Blick auf Wanderschaft durch das Großraumbüro, das in der fünften Etage des Verlagsgebäudes am Alexanderplatz die Redaktion des Berliner Kurier beherbergte. Die Mehrzahl der Kollegen hockte hinter den Rechnern und brütete konzentriert über ihren Artikeln. Der Rest führte wichtige Telefonate. Ganz im Gegensatz zu dir. »Warum rufst du an, Ralf?«
    »Warum bist du so genervt?«
    »Du hast schon vor einer Stunde angerufen.« Außerdem gestern Abend. Und vorgestern. Und letzte Woche.
    »Ich muss dir etwas sagen.«
    »Und ich habe dir schon mehrmals klargemacht …« Tania schaute sich noch einmal im Büro um. Alle Kollegen waren beschäftigt. Trotzdem dämpfte sie ihre Stimme. Sie wollte nicht, dass Hinz und Kunz sich über ihre privaten Probleme das Maul zerrissen. »Du sollst mich nicht ständig bei der Arbeit stören.« Und auch sonst nicht.
    »Ich werde doch wohl noch meine Frau anrufen dürfen!«, empörte er sich.
    Sie senkte ihre Stimme noch einmal. »Ralf, wir sind getrennt.«
    »Ja, aber …« Seine Worte gingen in ein undeutliches Nuscheln über.
    »Hast du getrunken?«
    »Nur ein bisschen.«
    Ein bisschen viel. Tania holte genervt Luft.
    Im hinteren Teil der Redaktion trat Stanislaw Bodkema aus seinem Büro. Bevor er sich auf den Weg quer durch den großen Raum machte, wechselte er noch einige Worte mit Emma, seiner Sekretärin, einem blonden, toupierten Püppchen mit Kunstnägeln und French Manicure, das man eher im Vorzimmer eines Schönheitschirurgen als im Sekretariat eines Chefredakteurs erwartet hätte.
    »Ich habe gehofft, du würdest dir das mit uns noch einmal durch den Kopf gehen lassen«, hörte Tania ihren Noch-Ehemann sagen.
    »Und ich habe gehofft, ich hätte inzwischen ein für alle Mal und unmissverständlich klargestellt, dass ich mich entschieden habe und …«
    »Hast du einen anderen? Ist es das? Das ist es doch?« Ralfs Stimme schwoll an. »Dein Chef, oder? Klar, es ist dein Chef, der …«
    »Ralf, stopp!« Tania deckte die Telefonmuschel mit der Hand ab.
    Ihr Chef, ein gepflegter, großer Mann Ende fünfzig, verheiratet, Vater von zwei Kindern,
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