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Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft

Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft

Titel: Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft
Autoren: Heide Fuhljahn
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zusammen«, das hören Depressive oft. Wenn nicht von anderen, dann von sich selbst. Wenn das denn nur ginge. Wenn man sich einfach nur in den Hintern treten könnte. Wenn es doch nur daran läge, dass man einzig ein bisschen in die Pötte kommen muss. Aber weit davon entfernt. Bei einer Depression tut alles weh, der Körper und auch die Seele. War der Schmerz der Anstrengung zuerst da oder die Depression? Irgendwann wird diese Frage egal. War man zuerst traurig, oder macht einen das ständige Nichtkönnen traurig? Auch das ist irgendwann egal. Birgit wurde bei unseren täglichen Telefonaten nicht müde, mich zu fragen: »Geht es denn heute ein kleines bisschen besser?« Und jeden Tag erwiderte ich: »Nein. Es wird immer schlimmer. Ich kann nicht mehr, es soll bitte nur noch aufhören. Egal wie.« Ich hatte ihr sehr viel zugemutet in dieser Zeit, meinen Frust, meine Hoffnungslosigkeit. Sie hatte mir immer wieder geraten, ins Krankenhaus zu gehen. Doch das konnte ich damals nicht. Also vegetierte ich weiter zu Hause vor mich hin und quälte mich zur Arbeit.
    Was hatte mir geholfen, diese Phase zu überstehen? Vor allem waren es zwei Worte, die ich mit Leben zu füllen versuchte. Aushalten. Und: durchhalten. Ich musste aushalten, ertragen, dass es mir Tag und Nacht hundeelend ging. Das war schwer. Sehr, sehr schwer. Und ich musste, oft gegen mein Gefühl, daran glauben, dass es besser werden würde. Eben durchhalten. Glauben, dass es »nur« eine Periode war, die auch wieder vorbeigehen würde, selbst wenn das im schlimmsten Fall Monate dauern sollte. Genau das ist in jeder Depression so schwierig, da man das sichere Gefühl hat, es hört nie wieder auf. Doch das tut es, und je mehr Hilfe man sich dafür holt, desto besser. Es ist wichtig, möglichst früh gegen die Depression anzugehen, damit sie nicht wieder und wieder kommt oder gar chronisch wird, und auch wegen der drohenden Folgeschäden, zum Beispiel Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Demenz. 1 Wenn ich das doch nur früher gewusst hätte. Ich hatte mich in dieser Zeit total überfordert, und so dauerte meine Depression weiter an.
    Und was hatte mir aber neben den beiden Worten »Aushalten« und »Durchhalten« am meisten geholfen? Dass ich nicht mutterseelenallein mit meiner Krankheit geblieben war. Dass ich in der Therapie jammern und klagen und heulen und hoffnungslos sein durfte . Denn das Aushalten, das tägliche, quälende, einschränkende Leid war sehr hart. Deswegen todtraurig, auch mal wütend oder zum Sterben verzweifelt sein zu dürfen, half mir sehr. Die depressive Episode wurde bei mir eben nicht nur durch die Trennung von Philipp ausgelöst. Es kam noch viel mehr dazu. Es sei wichtig, die Gründe für die Depression zu entschlüsseln, das hatte mein Therapeut wiederholt gesagt. Diese zu kennen, würde es leichter machen, aus der Krankheit wieder herauszufinden.
    Ganz enorm half mir das Verständnis meiner Freunde. Von mir hörten sie immer wieder: »Es tut so weh, ich kann nicht mehr.« Doch sie wurden nicht müde, mir zu antworten: »Bitte, halt durch. Du schaffst es. Wir schaffen es.« Sie waren mir nicht böse, wenn ich kurzfristig eine Verabredung absagte – und das passierte häufig, wenn ich mal wieder irgendwo nicht mitkommen konnte. Im Gegenteil: Sie ermutigten mich, gut für mich zu sorgen – auch wenn das hieß, dass ich zu Hause blieb. Sie verstanden, dass für mich jede Form von Reizüberflutung zu viel sein konnte, selbst so etwas Schönes wie ein Konzert oder eine Geburtstagsparty. Meine Freunde teilten die Last, die ich für sie war, unter sich auf. Bei Birgit konnte ich regelmäßig übernachten, wenn ich völlig verzweifelt war und dachte, es hört nie mehr auf. Oft rief meine Freundin Maren an: »Willst du nicht heute Abend zum Essen kommen? Es gibt Apfelpfannkuchen.«
    Â»Ja, sehr gern. Um halb sieben bin ich da, okay?«
    Â»Prima, bis dann. Die Kinder freuen sich schon auf dich!«
    Zu solchen Einladungen fuhr ich immer nach der Arbeit, wenn ich eh unterwegs war. Ich war sehr dankbar, dass Maren für mich kochte, Birgit mir das Gästebett bezog: dass ich den Abend nicht mit mir allein bleiben musste. Das war ganz wichtig für mich, dass ich nicht ausgeschlossen wurde aus dem normalen Leben. Dass ich weiter gemocht wurde, obwohl ich krank war. Auch wenn ich aus
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