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Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft

Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft

Titel: Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft
Autoren: Heide Fuhljahn
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liebevoll, unterstützend, wertschätzend. Die weitverbreitete Strategie, gegenüber anderen noch netter zu sein, noch mehr Aufgaben zu übernehmen und sich noch mehr zusammenreißen zu wollen, sorgt in der Regel nur dafür, dass die Depression schlimmer, wenn nicht sogar chronisch wird. Die »preußische Härte« ist eine Sackgasse!
    Selbstfürsorge statt Disziplin: Niemand muss sich mit der Depression als einem nicht behandelbaren Lebensschicksal abfinden. Gerade Frauen neigen dazu, sich und ihr Leid klein zu machen. Was deshalb gar nicht oft genug gesagt werden kann in unserer nach Leistung strebenden Gesellschaft: Depressionen sind kein Zeichen von Schwäche oder Faulheit. Nie!

1 Die Tür zum Inferno – mein Zusammenbruch in Norwegen 2006
    I ch habe Todesangst. Ich fühle mich wie eine Hülle kurz vor dem Zerbersten. Es ist der 3. August 2006 , ein später Donnerstagnachmittag, ich bin auf dem Weg zum Hamburger Flughafen, um einen Flieger nach Norwegen zu besteigen. Mit einer Gruppe von Journalisten aus England, Dänemark, Portugal und Russland werde ich in den nächsten Tagen auf einem Forschungsschiff von Bergen aus, der Hafenstadt am Inneren Byfjord, Richtung Norden fahren, genauer gesagt nach Trondheim. Man möchte uns über den hiesigen Fischfang informieren. Unterwegs rufe ich vom Handy meine Freundin Birgit an. Wir kennen uns seit dem gemeinsamen Skandinavistik-Studium, also seit fast zehn Jahren. Birgit stammt aus Franken, ist dreißig, hat eine makellose Haut und auch sonst alles, was ich nicht habe: eine heile Familie, einen loyalen Freund, eine Größe-36-Figur und viel Charme. Erst rauscht es in der Leitung, dann höre ich sie.
    Â»Jesses, wieso bist du denn noch im Bus g ’ sessen, dein Flieger geht doch gleich?«, fragt sie.
    Â»Ich weiß«, antworte ich, »es ging nicht schneller. Ich pack diesen Trip nicht. Aber ich kann doch jetzt nicht umdrehen?«
    Sie spricht mir Mut zu: »Du schaffst das, Heide, ganz bestimmt.«
    Wir beenden das Gespräch, weil ich am Flughafen Fuhlsbüttel angekommen bin. Wie in Trance bewege ich mich zum Check-in-Schalter, gehe mit meinem Rucksack durch die Pass- und Sicherheitskontrollen. Durch den vorgegebenen Ablauf komme ich nicht dazu, weiter darüber nachzudenken, ob ich umkehren soll oder nicht. Als ich dann endlich angeschnallt im Flugzeug sitze, bin ich vollkommen erschöpft, obwohl die Reise gerade erst begonnen hat. Doch das hat Gründe. Hinter mir liegt das schlimmste halbe Jahr meines Lebens. Mein Freund Philipp hat sich im Februar von mir getrennt, und seitdem gehe ich durch die Hölle. Das Schreckliche ist, dass es jetzt, gut sechs Monate später, jeden Tag noch genauso schmerzt wie am ersten Tag. Es fühlt sich an, als hätte man einen Teil von mir herausgerissen. Ich heule permanent: nach dem Aufwachen, auf der Toilette im Büro, beim Einkaufen im Supermarkt, auf dem Weg zum Sport und vor dem Einschlafen. Jeden Morgen schreibe ich in mein Tagebuch: »Ich kann nicht mehr«, und jeden Abend: »Ich will nicht mehr.« Philipp liebt mich nicht mehr, ich kann das einfach nicht begreifen, und ich vermisse ihn so sehr, dass es mich körperlich zerreißt.
    Seit April gehe ich einmal in der Woche zur Psychotherapie bei Dr. Levi, einem ausgewiesenen Experten für Depressionen, der gleichzeitig Psychiater ist. Ich nehme Beruhigungs- und Schlafmittel sowie Antidepressiva – doch der Trennungsschmerz quält mich weiterhin. Ständig. Nie wieder werde ich mit Philipp schlafen, nie wieder werden wir spazieren gehen, nie wieder werden wir zusammen essen. Das »Nie mehr« kann ich nicht ertragen. Immer noch bin ich davon überzeugt, dass er der Mann meines Lebens ist und ich ohne ihn nicht leben kann.
    In den ersten Wochen lag ich nur zu Hause im Schlafzimmer und weinte. In dem Versuch, etwas an meiner Situation zu ändern, besorgte ich mir ein neues Bett, ein schmales – ich hielt »unser« breites Bett nicht mehr aus. Es nützte nichts. Ich starrte weiterhin durch die Türöffnung auf den hellblau gestrichenen Flur mit dem dunklen Holzfußboden. Stundenlang. In den letzten Wochen habe ich alles versucht, was Trennungsratgeber empfehlen und Antidepressiva möglich machen: Ich stürzte mich in die Arbeit, verabredete mich mit Freunden, ging viel zum Sport und kaufte mir neue Stiefel. Auch all das hat nicht geholfen. Im Gegenteil: Es
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