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Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft

Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft

Titel: Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft
Autoren: Heide Fuhljahn
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kann ich mich noch zwingen. Gott sei Dank ist es kein Problem, dass wir den Artikel über IUU erst mal nicht bringen. Als ich endlich vor Dr. Levi sitze und meine Probleme während der Norwegenreise schildere, sagt er: »Gehen Sie ins Krankenhaus, bitte!« Ich nicke, erkläre mich damit einverstanden, doch ich weiß nicht, welche Klinik ich wählen soll, welche für Fälle wie mich gut ist. Mein Therapeut nimmt mir die Entscheidung ab: »Das Universitätskrankenhaus in Hamburg ist zwar am nächsten, doch ich würde Ihnen empfehlen, sich für eine Klinik in Schleswig-Holstein zu entscheiden. Ich kenne die Therapeuten dort sehr gut, und ich glaube, dass die Ihnen am besten helfen können.«
    Noch während der Sitzung meldet er mich telefonisch zu einem Vorgespräch für die psychiatrische Station an. In den letzten sechs Monaten hatte ich mich strikt geweigert, ein Krankenhaus aufzusuchen, obwohl es mir der Therapeut mehrfach geraten und auch meine Freundin Birgit immer wieder diesen Vorschlag gemacht hat. Doch ich hatte Angst, dass es in der Psychiatrie so sein könnte wie in dem Horrorfilm Rosemary’s Baby : Die New Yorker Ehefrau Rosemary sucht während ihrer Schwangerschaft Hilfe bei einem Gynäkologen, aber der gehört, genau wie ihr Mann und die Nachbarn, zu einer Gruppe von Satanisten, und am Ende gebiert sie einen Säugling, der vom Teufel gezeugt wurde. Nur ist meine Todesangst jetzt so groß, größer als alles andere, dass diese Furcht an Bedeutung verliert.
    Während Dr. Levi weiter in das Telefongespräch verwickelt ist, denke ich nur eines: Hoffentlich nehmen sie mich dort auf.
    Zugleich toben in mir die widersprüchlichsten Gefühle: Auf der einen Seite will ich nichts lieber als sterben, auf der anderen Seite fürchte ich mich davor. Dass diese Zerrissenheit typisch ist für Menschen, die sich umbringen wollen, erfahre ich erst viel später. Jetzt will ich allein, dass dieser Ausnahmezustand, in dem ich seit Monaten stecke, einfach aufhört. Und wäre ich gesund, ich hätte erst einmal gründlich recherchiert, welche Klinik mein Therapeut da überhaupt empfiehlt. Genau hätte ich mich informiert, mit dem zuständigen Arzt diskutiert, wäre skeptisch gewesen. Diese Motivation ist nicht mehr vorhanden. In meinem Kopf gibt es nur Platz für einen einzigen Gedanken: Hilfe!
    Am nächsten Tag hole ich mir einen Überweisungsschein fürs Krankenhaus. Meine Hausärztin fällt fast vom Stuhl, als ich ihr sage, dass ich achtzig Milligramm Oxazepam nehme – und Antidepressiva und Schlaftabletten. Sie sagt: »Na, Ihr Psychiater weiß hoffentlich, was er tut! Gut, dass Sie in die Klinik gehen, das erscheint mir dringend angebracht.« Nachdem ich die Praxis verlassen habe, fahre ich mit Bus und Bahn anderthalb Stunden in den Norden, verlasse die Stadtgrenze von Hamburg; es kommt mir so vor, als wäre ich auf einem psychedelischen Trip. Ich weine ununterbrochen, aber niemand reagiert.
    Beim Vorgespräch in der psychiatrischen Klinik sitze ich einem Oberarzt gegenüber. Dr. Steinhausen sieht aus wie Sigmund Freud: hohe Geheimratsecken, markante Nase, Spitzbart. Doch statt eines weißen Kittels oder eines dreiteiligen Anzugs trägt er tatsächlich einen bunten Pullover, Jeans und Turnschuhe. In seinem Büro steht eine Couch, ansonsten ist das Zimmer eingerichtet wie eine Studentenbude. Überall Bücher, Poster an den Wänden, der Schreibtisch ist unter Papierbergen begraben. Als Erstes gebe ich ihm meinen Überweisungsschein.
    Der Arzt schaut mich verblüfft an und fragt: »Wieso haben Sie den noch geholt? Sie hätten auch ohne ihn kommen können.«
    Â»Ich wollte einen guten Eindruck machen«, antworte ich ehrlich. Meine Angst, dass man mich nicht aufnimmt, ist so groß, ich hätte alles Mögliche gemacht, wenn es nötig gewesen wäre.
    Â»Dr. Levi hat mir schon einen Überblick über Ihre Situation gegeben«, sagt Dr. Steinhausen, »aber ich würde gern von Ihnen selbst hören, wie Sie die einschätzen und empfinden.«
    Wieder erzähle ich von meinem Inferno und von meiner Hoffnung, zwei Wochen in der Klinik sein zu können. Nachdem ich meine Ausführungen beendet habe, meint der Mediziner, dass man mich für zwei Wochen nicht aufnehmen würde. Ich müsste mindestens sechs bis acht Wochen bleiben, da eine stationäre Therapie Zeit
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