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Kalix - Die Werwölfin von London

Kalix - Die Werwölfin von London

Titel: Kalix - Die Werwölfin von London
Autoren: Martin Millar
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Werwölfin Silberkugeln durch das Herz zu schießen.
    Wie so oft dachte Kalix, es wäre schön, zu sterben und in dieser trostlosen Londoner Straße alles hinter sich zu bringen. Aber irgendwie konnte sie das einfach nicht. Während die Jäger ihre Waffen hoben, verwandelte sie sich in einem Sekundenbruchteil von einer hilflosen jugendlichen Ausreißerin in eine wilde, brutale Werwölfin, die in ganz Großbritannien Jäger umgebracht und nach dem fast tödlichen Angriff auf den Fürsten die Tore ihres Gefängnisses einfach aus den Angeln gerissen hatte. Bevor die Jäger den Abzug betätigen konnten, wurden sie in Stücke gerissen, zerfetzt von der beispiellosen Wildheit, die zugleich Gabe und Fluch der einsamen kleinen Werwölfin war.
    Sekunden später war alles vorbei. Kalix stieß ein schreckliches Heulen aus, dann nahm sie zitternd wieder menschliche Gestalt an. Freudlos betrachtete sie das Gemetzel zu ihren Füßen. Der Regen spülte das Blut bereits weg.
    »Ich brauche keinen Vollmond«, sagte sie leise. »Ich gehöre zur königlichen Familie der Werwölfe.«
    Kalix holte tief Luft, um ein Zittern zu unterdrücken, dann lief sie die dunkle Straße entlang und verschwand in der ersten Gasse, zu der sie kam.
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    Kalix wünschte sich, sie wäre jemand anders. Sie hatte sich eine kunstvolle Geschichte zusammengesponnen, in der ihre echten Eltern sie nach der Geburt ausgesetzt und der Gnade der Mac-Rinnaichs überlassen hatten. Entweder das, oder sie war als Baby gestohlen und an den Fürsten verkauft worden. In ihrer Lieb
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    lingsträumerei stellte sie sich vor, sie wäre das geheime uneheliche Kind von einem der Runaways, am besten von Joan Jett.
    »Joan Jett könnte doch wirklich meine Mutter sein«, dachte Kalix manchmal.
    Allerdings war Joan Jett, soweit man wusste, keine Werwölfin.
    Wegen ihres Nomadendaseins besaß Kalix nur wenige Dinge. Sie hatte nicht mehr als ihre zerrissene Kleidung, einen uralten Walkman für Kassetten und eine Tasche für ihre Tabletten und ihr Laudanum. Ihre Kleidung stammte aus Secondhandläden. Ihre Stiefel waren voller Löcher, und ihr Mantel war abgetragen und schmutzig.

    Kalix nahm seit ein paar Jahren Laudanum. Die Tinktur bestand aus Opium, das in Alkohol aufgelöst wurde. Ihr erstes Laudanum hatte sie von Krämer MacDoig gekauft, einer seltsamen Gestalt, die regelmäßig bei Burg MacRinnalch mit sagenhaften Waren auftauchte, die aus verschiedensten Reichen stammten, von denen manche nicht zu dieser Welt gehörten. Er besaß einiges an Macht, hatte die normale kurze Lebensspanne der Menschen längst überschritten und war in dieser Zeit an Orte gereist, die nur wenige andere je sahen. Unterwegs hatte er irgendwo einen Vorrat Laudanum gefunden, das er jedem verkaufte, der verzweifelt Erlösung von seinem Leid suchte. Kalix' Mutter, die Herrin der Werwölfe, hätte MacDoig umgebracht, wenn sie herausgefunden hätte, dass er ihrer jüngsten Tochter etwas davon verkaufte. Es war nicht billig, und Kalix hatte gelernt zu stehlen, um ihre Bedürfnisse zu finanzieren. Seit sie in London angekommen war, kaufte sie die Tinktur von dem jungen MacDoig, der die Geschäfte seines Vaters im Süden weiterführte. Deshalb besaß sie auch ihr Amulett nicht mehr. Sie hatte es beim jungen MacDoig gegen Laudanum eingetauscht.
    Für ihren Walkman besaß Kalix nur zwei Kassetten, beide von den Runaways: ihr gleichnamiges erstes Album und Live in Japan. Kalix liebte die Runaways, auch wenn beide Alben älter waren als
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    sie selbst. Sie hatte ein Bild von der Band, das sie aus einer Zeitschrift gerissen hatte. Einmal hatte ein junger Mann versucht, es zu verschandeln, und sie hatte ihn so fest in die Hand gebissen, dass er ins Krankenhaus gehen musste, um sich nähen zu lassen. Und das, als Kalix menschliche Gestalt besessen hatte.
    Selbst als Mensch war Kalix eine grimmige Gegnerin. Als Werwölfin war sie übernatürlich stark, und wenn sie der Kampfrausch überkam, wurde sie mörderisch brutal.
    Einmal hatte Kalix in einem Internetcafe nach Informationen über die Runaways gesucht, aber nur sehr wenig gefunden. Es war nicht viel über sie geschrieben worden, und das Wenige konnte Kalix kaum lesen. Die MacRinnalch-Werwölfe waren zwar in der Regel gebildet, aber Kalix war durch ihre besondere Geschichte beinahe Analphabetin geblieben. Den paar Sätzen nach, die sie verstehen konnte, schien es so, als sei ihre Lieblingsband nie sonderlich erfolgreich gewesen. Das machte Kalix ratlos und wütend und
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