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Käptn Snieders groß in Fahrt

Käptn Snieders groß in Fahrt

Titel: Käptn Snieders groß in Fahrt
Autoren: Werner Schrader
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Jungen.
    „Nein“, antwortete Heini, „nur kein Gefühl in der Hüfte und in den Beinen.“
    „Na, eines Tages wachst du auf und kannst wieder laufen, sollst mal sehen“, wollte Käpten Snieders ihn trösten. Aber Heini wußte es besser. Auf seinem langen Krankenlager hatte er viel nachgedacht und war um Jahre gereift. Er brauchte keinen Trost und hätte sein Schicksal auch angenommen, wenn er nur etwas Sinnvolles zu tun gehabt hätte. Gewiß, sein Vater, der im Krieg den rechten Arm verloren hatte und seitdem in Berne als Briefträger arbeitete, brachte ihm regelmäßig Bücher aus der Volksbücherei mit, aber immer nur lesen und studieren konnte man doch nicht. Das sagte er nun dem alten Kapitän, dem die Hilflosigkeit greifbar aus den blauen Augen schaute.
    „Ich liege immer nur herum und lese“, sagte er, „und hin und wieder kommt mal jemand zu Besuch. So kann ich doch nicht mein ganzes Leben verbringen! Es muß doch für Menschen, die im Bett liegen müssen, auch eine sinnvolle Beschäftigung geben! Noch ein halbes Jahr so wie das vergangene, und ich werde verrückt.“
    Das konnte der Kapitän dem Jungen nur zu gut nachfühlen. Er selbst war nur einmal ernsthaft krank gewesen, hatte mit einer Lungenentzündung vierzehn Tage lang das Bett hüten müssen. Das war die schrecklichste Zeit seines Lebens gewesen, an die er nur mit Schaudern zurückdachte. Er überlegte angestrengt, was er für Heini tun könnte.
    Da kamen Ludwig und Kluten mit den Aufsätzen zurück.
    Sie waren den ganzen Weg gerannt und ließen sich erschöpft auf ihre Stühle fallen, nachdem sie Käpten Snieders die Hefte gegeben hatten. Der nahm ohne weitere Worte den Aufsatz von Lutz Lehmann und begann ihn langsam vorzulesen.
    „Über die ursächlichen Zusammenhänge bei den Gezeiten“, las er.
    „Unser neuer Lehrer ist ein alterfahrener Weltumsegler, der auf seinen endlos langen Reisen ganz unglaubwürdige Abenteuer erlebt hat, die man heutzutage mit der Lupe suchen muß.“
    Heini schmunzelte, und Kluten Neumann sagte: „Lach, lach! Das ist aber mal ein gewählter Ausdruck.“
    „Es geht ja erst los“, beschwichtigte Käpten Snieders sie, „und wird von Satz zu Satz besser. Hört doch: Wir genossen heute das Glück seiner erzählten Bekanntschaft mit dem Gezeitenuntier.“ Ludwig machte: „Buh! Buh!“ Der Alte aber las unbeirrt weiter. „Vor vielen Zigjahren, der alte Kapitän war ein blutjunger Bootsmann, und seine Erinnerung verschweigt das genaue Datum mangels Altersschwäche...“
    Weiter kam er nicht.
    Heini Brackwede lachte, wie er seit Monaten nicht mehr gelacht hatte, und auch die andern beiden brüllten vor Vergnügen. „Ich hab’ gar nicht gewußt, daß der Lutz so ein Witzbold ist“, stöhnte Kluten, als er sich ein wenig beruhigt hatte. „Lesen Sie bloß weiter, Herr Kapitän, der Aufsatz ist fast so gut wie ein Artikel in der Norddeutschen Volkszeitung.“
    „Was habt ihr bloß?“ fragte Käpten Snieders ehrlich erstaunt. „Findet ihr den Aufsatz etwa nicht schön?“
    „Zum Quieken schön“, antwortete Ludwig und wischte sich die Lachtränen ab.
    Käpten Snieders wurde unsicher. Sollte er den Jungen sagen, daß er eine Eins unter die Arbeit hatte schreiben wollen? Lieber nicht! Offensichtlich verstanden sie mehr davon als er. Das konnte ja heiter werden! Er getraute sich plötzlich nicht mehr, die Aufsätze nachzusehen, und verwünschte insgeheim seinen neuen Beruf. Heini Brackwede riß ihn aus seinen trüben Gedanken.
    „Lutz hat da etwas besonders Schönes schreiben wollen“, sagte er, „und darum Ausdrücke gewählt, die er noch gar nicht richtig versteht. Das mußte ja Unsinn werden. Herr Heinecke hat uns immer wieder geraten, nur die Wörter und Wendungen zu benutzen, die uns ganz verständlich wären. Und in meiner Aufsatzschule, dem grünen Buch da auf dem Bord, habe ich noch viel mehr darüber gelesen.“
    Käpten Snieders machte große Augen.
    „So?“ sagte er. „Hast du denn auch Spaß am Aufsatzschreiben?“
    „Und ob“, bemerkte Kluten, „Heini ist doch unser Schuldichter.“
    „Chotz verdoli“, sagte Käpten Snieders, „das habe ich ja noch gar nicht gewußt!“
    Er griff nach seiner Pfeife, klopfte sie am offenen Fenster aus und begann sie langsam zu stopfen. Dabei kam ihm plötzlich eine großartige Idee. Er sah eine Möglichkeit, dem armen Heini eine sinnvolle Beschäftigung zu verschaffen und sich selbst aus einer unangenehmen Zwangslage zu befreien.
    „Hör mal, Heini“,
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