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Kälteschlaf - Indriðason, A: Kälteschlaf - Harðskafi

Kälteschlaf - Indriðason, A: Kälteschlaf - Harðskafi

Titel: Kälteschlaf - Indriðason, A: Kälteschlaf - Harðskafi
Autoren: Arnaldur Indriðason
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sich aber im nächsten Moment.
    »War das in Ordnung?«, fragte das Medium.
    »Ich glaube schon«, antwortete die Frau mit der leisen Stimme. »Was war da …?«
    Die Frau zögerte.
    »War das jemand, den du kennst?«, fragte das Medium.
    »Ja.«
    »Gut, ich … Warum ist mir so kalt? Mir klappern ja die Zähne!«
    »Da war aber noch eine andere Stimme …«
    »Eine andere Stimme?«
    »Ja, nicht deine.«
    »Und was hat sie gesagt?«
    »Ich soll auf der Hut sein.«
    »Ich weiß nicht, was das war«, sagte das Medium. »Ich kann mich an nichts erinnern.«
    »Sie erinnerte mich an …«
    »Ja?«
    »Sie erinnerte mich an meinen Vater.«
    »Die Kälte … Die kommt nicht von dort. Diese Eiseskälte, die ich verspüre. Sie hat mit dir direkt zu tun, und sie hat etwas Gefährliches, etwas, vor dem du dich in Acht nehmen musst.«
    Erlendur streckte seine Hand nach dem Gerät aus und schaltete es aus. Er war nicht imstande, weiter zuzuhören. Er kam sich irgendwie unanständig vor und war peinlich berührt, denn er kam sich so vor, als hätte er irgendwo heimlich an der Tür gehorcht. Erlendur war der Gedanke zuwider, das Andenken dieser Frau zu entwürdigen, indem er lauschte.

Sechs
    Der alte Mann wartete am Empfang auf ihn. Früher war er mit seiner Frau ins Hauptdezernat gekommen, doch da sie inzwischen verstorben war, kam er jetzt immer allein, um mit Erlendur zu sprechen. Seit fast dreißig Jahren hatten die Eheleute ihn regelmäßig in seinem Büro besucht, zuerst wöchentlich, dann einmal im Monat, dann einige Male im Jahr, schließlich nur noch einmal im Jahr und zum Schluss alle zwei oder drei Jahre am Geburtstag des Sohnes. Erlendur hatte sie in dieser Zeit ziemlich gut kennengelernt. Die Trauer trieb sie zu ihm. Der jüngere Sohn des Ehepaares, Davið, war 1976 aus dem Haus gegangen, und seitdem hatten sie nie wieder etwas von ihm gehört.
    Erlendur schüttelte dem alten Mann die Hand und ging mit ihm in sein Büro. Auf dem Weg dorthin erkundigte er sich nach seinem Befinden. Der Mann erklärte, seit längerer Zeit in einem Altersheim zu leben, wo es ihm aber nicht sonderlich gefalle. »Lauter alte Leute«, sagte er. Er hatte sich ein Taxi zum Dezernat genommen und fragte, ob Erlendur ihm eines bestellen könne, nachdem sie miteinander gesprochen hätten.
    »Ich lasse dich nach Hause bringen«, sagte Erlendur und öffnete ihm die Tür zu seinem Büro. »Ist denn da im Altersheim nichts los?«
    »Nicht viel«, sagte der alte Mann, nachdem er Platz genommen hatte.
    Er war gekommen, um wieder einmal nach seinem Sohn zu fragen, obwohl er genau wusste, und zwar seit Langem, dass es nichts Neues zu berichten gab. Erlendur hatte Verständnis für diese seltsame Beharrlichkeit, und er hatte das Ehepaar immer freundlich empfangen und ihnen zugehört. Er wusste, dass sie die ganzen Jahre die Zeitungen gelesen und Radio gehört und die Nachrichten im Fernsehen angeschaut hatten, immer in der schwachen Hoffnung, dass irgendjemand irgendwo einen Hinweis auf das Verschwinden ihres Sohnes gefunden hatte. Aber in all den Jahren war nichts dergleichen passiert.
    »Heute wäre er neunundvierzig geworden«, sagte der alte Mann. »Der letzte Geburtstag, den er gefeiert hat, war sein zwanzigster. Da hat er alle seine Freunde aus dem Gymnasium eingeladen, und meine Frau und ich mussten so lange das Haus verlassen. Die Party hat bis in die frühen Morgenstunden gedauert. Seinen einundzwanzigsten Geburtstag hat er nie feiern können.«
    Erlendur nickte verständnisvoll. Bei der Kriminalpolizei waren nie irgendwelche Hinweise im Zusammenhang mit dem Verschwinden des Sohnes eingegangen. Anderthalb Tage nachdem Davið das Haus seiner Eltern verlassen hatte, meldeten sie ihn als vermisst. Er hatte die Angewohnheit, manchmal nächtelang mit seinem Freund zu lernen, und ging dann morgens von dort aus direkt zur Schule. Zu seinen Eltern hatte er gesagt, dass er am Abend zu diesem Freund wolle, und außerdem, dass er noch in einen Buchladen müsse. Die beiden waren in der Abschlussklasse; im Frühjahr würden sie Abitur machen. Als er am nächsten Tag nicht von der Schule nach Hause kam, riefen seine Eltern im Gymnasium an und fragten nach ihm. Es stellte sich heraus, dass er an diesem Morgen gar nicht in der Schule erschienen war. Als sie seinen Freund anriefen, erklärte der, dass Davið nicht bei ihm gewesen sei, sie hatten zwar miteinander telefoniert, aber Davið hatte nichts davon gesagt, dass er am Abend vorbeikommen wollte. Er hatte
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