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Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)

Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)

Titel: Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)
Autoren: Andrew Blum
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weit geöffneten Schiebefenster ließen den Winter ungehindert herein, die billigste Methode, die Rechner zu kühlen. Von der einstigen Opulenz des Gebäudes zeugten einzig die Überreste eines Fußbodenmosaiks, die in einer Ecke lagen wie eine zersprungene Tasse. Auer hatte den von ihm betreuten Teil des Internets der Einfachheit halber leicht erhöht: Das halbe Dutzend Rechner, eingebettet in ein Nest aus Kabeln, stapelte sich in zwei mannshohen Metallregalen. Das Herzstück war ein schwarzer Cisco-Router 6500 von der Größe einiger übereinander gestapelter Pizzaschachteln. Aus dem mit Strichcode-Etiketten tätowierten Gehäuse lugten blinkende LED s hervor.
    Für jene 25 000 Kunden, die sich darauf verließen, dass Auers Firma sie mit »dem Internet« verband, war diese Maschine die Einfädelspur in die Datenautobahn. Ihre Aufgabe bestand darin, den Adressaten eines Datenpakets zu lesen und es auf einem von zwei Wegen weiterzuleiten. Der eine Weg führte eine Etage höher zu einem Serverraum von Cogent, einem großen Internetprovider, der Städte von San Francisco bis Kiew versorgt. Ein gelbes Kabel führte in einen Leitungsschacht, kam oben aus der Wand und war dort an die Router von Cogent angeschlossen, die ihrerseits mit elektronischen Kollegen in Chicago und Minneapolis verbunden waren. Dieses Gebäude war der einzige Zugangsknoten von Cogent in ganz Wisconsin, der einzige Ort, an dem der Expresszug von Cogent Halt machte. Deshalb war Auers Firma hier und all die anderen auch. Der zweite Weg führte zu Time Warner, dessen Großkundenabteilung eine zusätzliche Verbindungsmöglichkeit darstellte – eine Absicherung, um Auers Stück vom Internet verlässlich mit dem Rest davon zu verbinden.
    Das Gebäude als Ganzes glich einem einhundert Jahre alten Labyrinth aus verdrillten Kabeln und geplatzten Träumen. Aber für sich genommen war dieser Teil des Internets – die Welt von Jon Auer – überraschend überschaubar: keine endlose Stadt, sondern eine einfache Weggabelung. Als ich Auer fragte, wie es danach weitergehe, zuckte er nur die Schultern. »Mich interessiert, wo wir mit Cogent oder Time Warner kommunizieren können, und das findet in diesem Gebäude statt. Wenn es mal hier durch ist, hab ich nichts mehr damit zu tun.« Für etwa 25 000 Menschen in Wisconsin war das hier der Ausgangspunkt. Von hier aus ging es zum Internet entweder hier entlang oder dort, über eines der zwei gelben Kabel, die letztlich Tore zur ganzen Welt waren. Jede Reise, ob real oder virtuell, beginnt mit dem ersten Schritt.
    * * *
    Einige Wochen später fuhr ich zu TeleGeography nach Washington, um besser zu verstehen, wie Krisetya von der matschigen Schichttorte Internet eine eindeutige Karte anfertigt. Am Abend vor meiner Abreise wurde New York jedoch von einem Schneesturm heimgesucht, also mailte ich Krisetya, dass ich später ankommen würde als geplant. Während ich im Zug durch New Jersey nach Süden fuhr, ließ der Schnee allmählich nach, und als wir nach Washington hineinfuhren, war an die Stelle der dichten Wolkendecke über New York ein klarer, grauer Himmel getreten, und die Bürgersteige waren trocken. Es war, als hätte jemand den Schleier, der sich so plötzlich über die Landschaft gelegt hatte, ebenso schnell wieder gelüftet. Bei meiner Ankunft klappte ich in der großen, neoklassizistischen Eingangshalle der Union Station meinen Laptop auf und wählte mich ins W- LAN -Netz eines Cafés ein, um eine E-Mail nach Kalifornien zu versenden. Wenige Minuten darauf schickte ich vom U-Bahnsteig aus eine SMS an meine Frau, dass ich trotz der Schneemassen in New York gut in Washington angekommen sei (wie ich wieder nach Hause komme, werde sich zeigen).
    Diese alltäglichen Details meiner Reise erzähle ich deshalb, weil ich an jenem Tag einen geschärften Sinn für die sichtbaren und unsichtbaren Netzwerke um mich herum hatte. Vielleicht war es die Art und Weise, in der der Schnee den vertrauten Formen der Welt eine neue Kontur gegeben und gleichzeitig die Geschwindigkeit verlangsamt hatte, mit der sie an mir vorüberzogen. Vielleicht war es auch nur die frühe Morgenstunde sowie die Tatsache, dass ich an jenem Tag vor allem Karten im Kopf hatte. Doch während der Zug sich durch New Jersey schlängelte und unter dem Sturm duckte, stellte ich mir vor, wie E-Mails (wenn auch etwas schneller) denselben Weg nahmen. Da ich vor kurzem gelernt hatte, dass ein Großteil der Glasfaserleitungen, die New York und Washington
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