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Jungs sind keine Hamster

Jungs sind keine Hamster

Titel: Jungs sind keine Hamster
Autoren: Frank Schmeißer
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mich, als ich mich neben sie setzen wollte. Ich setzte mich trotzdem hin. Ganz an den Rand. So nah wie möglich und so weit weg wie nötig. Ich sah auf meine Beine, hielt den Kopf gesenkt. Mein schlechtes Gewissen drückte mich nieder.
    „Lore, es tut mir leid.“
    „Interessiert mich nicht!“
    Mittlerweile war auch Marvin angekommen. Er keuchte wie eine kalbende Kuh. Er hatte weiße Flecken in seinem knallroten Gesicht. Wäre er nur ein paar Meter weiter gesprintet, wäre er wohl in Ohnmacht gefallen.
    „Ich hatte Angst, dass du mir Marvin ausreden könntest“, versuchte ich mich an einer Erklärung.
    „Und warum sollte ich das tun?“, brummte Lore.
    „Weil es Marvin ist. Das Arschloch.“
    „Hallo! Ich … bin … auch … noch … da“, schnaufte Marvin.
    Wir ignorierten ihn.
    „Wenn du mit einem Arschloch glücklich werden kannst, dann würde ich dich niemals daran hindern.“
    „Trage ich eine Tarnkappe? Hallo!?“, protestierte Marvin schlapp. „Ich bin kein Arschloch!“
    Lore sah ihn an. „Du vielleicht nicht, sie aber hundertprozentig.“
    Prima. Jetzt hatte ich zumindest Marvin mit meiner ehemals besten Freundin versöhnt. Dann sah sie mich an. Nicht mehr hasserfüllt, aber kalt.
    „Weißt du, ich hätte dich heute echt …“
    Lore brach ab und drehte sich weg.
    „Marvin, kannst du uns mal alleine lassen?“, fragte ich vorsichtig. Oh Mann, das war unser zweites Date und zum zweiten Mal schickte ich ihn weg, weil mein beklopptes Leben nicht darauf eingestellt war, dass ich, Hannah Eislage, Zwerg und blöde Kuh, plötzlich einen Freund hatte.
    Marvin sah alles andere als glücklich aus, aber er ging, ohne ein Wort zu sagen.
    „Na super. Jetzt ist der auch noch sauer“, grummelte ich.
    „Selber schuld.“
    „Ich weiß.“
    Ein Zug fuhr ein. Es war die Linie 5. Menschen quollen aus den Waggons, fluteten den Bahnsteig und verschwanden über die Treppen ins Freie.
    „Was wolltest du sagen? Eben, meine ich“, fragte ich Lore.
    „Ich hätte heute echt eine gute Freundin gebrauchen können, aber …“
    „Ich weiß.“
    „Unterbrich mich nicht!“
    „Entschuldigung.“
    „Aber dass du mich angelogen hast, ist das Schlimmste. Du hättest es mir sagen müssen. Das mit Marvin und dir. Wir sind beste Freundinnen!“
    Sie sagte sind! Wir sind beste Freundinnen. Nicht waren beste Freundinnen. Mir fielen Millionen Steine von der Seele.
    „Es tut mir leid“, flüsterte ich. „Marvin ist der erste Junge, der mich mag. Und das nicht nur als Kumpel. Und irgendwie drehe ich deswegen ganz schön am Rad. Ich erkenne mich ja selbst kaum wieder.“
    Abermals drangen die Geräusche einer einfahrenden Bahn zu uns. Ich sah hoch zur Anzeigetafel. Das musste die Linie 4 sein. Lores Bahn. Lore sagte nichts.
    „Meinst du, du kannst mir verzeihen?“, fragte ich leise.
    Lore sah weiterhin geradeaus. Konzentriert, mit zu Schlitzen verengten Augen, so als versuchte sie, auf der anderen Seite des Bahnsteigs jemanden zu erkennen. Die Bremsen der Bahn quietschten und die Linie 4 kam zum Stehen. Zischend öffneten sich die Türen. Menschen stiegen aus und Lore erhob sich.
    „Ich weiß es noch nicht. Ich muss darüber nachdenken.“
    „Ich verstehe.“
    Ich fühlte mich beschissen, wie gefesselt, gefangen in einem tiefen Loch, in dem man oben nur ganz schwach und klein den blauen Himmel sehen konnte. Weil mir nichts anderes übrig blieb als abzuwarten, ob Lore überhaupt noch meine Freundin sein wollte. Ohne ein weiteres Wort zu sagen oder mir einen Blick zu schenken, verschwand Lore in der Bahn und warf sich auf den nächstbesten freien Platz. Die Türen schlossen sich und die Bahn fuhr ab. Ich blieb noch gut zwanzig Minuten sitzen. Irgendwelche Leute strömten an mir vorbei. Sie stiegen aus Zügen oder betraten sie. Sie lachten, rannten, schlurften, tranken Bier aus Flaschen – während ich am Rand des Trubels saß und alles beobachtete wie einen Film, in dem ich keine Hauptrolle spielte.
    Ich hatte mir die Decke über den Kopf gezogen. Mein Handy lag neben mir im Bett, der Laptop mit gestartetem Facebook lag auf meinem Bauch. Ich wartete auf eine Nachricht von Lore, während meine Mutter im Zimmer stand und herumzeterte, ohne eine Sekunde Luft zu holen. Aber ich hörte ihr gar nicht zu. Das Einzige, was ich mitbekommen hatte, war das übliche „undankbare Tochter“ und das etwas seltenere „zwei Monate Hausarrest“. Türen knallend ging sie. Ich blieb liegen und wartete weiter.
    Irgendwann später
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