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Jungs sind keine Hamster

Jungs sind keine Hamster

Titel: Jungs sind keine Hamster
Autoren: Frank Schmeißer
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schade dafür, ihren Kram selber wegzuräumen? Jette war wohl der Meinung, dass ihr neben meinem Zimmer auch noch ein eigenes Bad zustand, und zwar dieses hier.

    Im Gegensatz zu den Handtüchern hatte sie ihren Beauty-krempel schön ordentlich nebeneinander auf der Ablage unter dem Spiegel angeordnet: eine elektrische Zahnbürste in Rosa, eine Tube Zahncreme für besonders weiße Zähne, drei Deos, drei Parfüms, vier Lippenstifte, Lipliner, diverse Grundierungen, Abdeckstifte, Eyeliner, Wimperntusche, mehrere Sorten Rouge von Rot über Pink bis Braun, Lidschatten in allen Regenbogenfarben, eine Handvoll Kajalstifte, Make-up-Entferner, zwei Gesichtscremes, drei Sorten Bodylotion, Pflegespülungen. Ich kam mir vor wie in der Garderobe eines Hollywoodstars. Meine Sachen – eine Zahnbürste und eine Cremedose – hatte sie dafür natürlich wegräumen müssen. Die lagen nun im Regal meiner Mutter.
    Der Spiegel war beschlagen, was mir ganz recht war. Morgens fand ich mich noch hässlicher als abends. Und so musste ich wenigstens nicht sehen, dass meine Brüste immer noch nicht gewachsen waren. Ich war das flachbrüstigste Mäd-chen der Stadt. Mutter meinte zwar, dass Mädchen sich körperlich unterschiedlich entwickeln und dass es irgendwann ganz schnell gehen werde, aber dass mir auf einmal Brüste aus dem Körper ploppten wie Springteufel aus einer Kiste, hielt ich für extrem unwahrscheinlich. Ich sprang unter die Dusche, putzte mir die Zähne und zog mir die frischen Klamotten an. Die alten ließ ich einfach im Bad liegen. Und während meine Mutter oben an mein Zimmer bollerte und schrie, dass ich jetzt endlich aufstehen solle, schlich ich in die Küche und packte mir Obst ein. Dann rannte ich aus dem Haus, schnappte mir mein Rad und fuhr, so schnell es mit dem alten Rad eben ging, zur Schule.
    Als ich ankam, war der Schulhof menschenleer. Ich sprang vom Rad, ließ es in die Hecke kippen, die rund um die Fahrradständer gepflanzt worden war, damit Vandalen und Fahrraddiebe es leichter hatten, und rannte hoch zu unserem Klassenzimmer. Als ich die Tür öffnete, kontrollierte Frau Vogel gerade die Anwesenheit. Sie kniff ein Auge zusammen und sah mich streng über ihre Brille hinweg an, sagte aber nichts außer: „Hannah Eislage ist auch da. Sehr schön.“
    Ich grummelte: „Entschuldigung. Verschlafen“, und marschierte zügig nach hinten zu meinem Platz. Blicke folgten mir. Ich hasste es, angestarrt zu werden. Ich kam mir dann immer vor, als stünde ich alleine auf einer Bühne und würde schiefe Opernarien singen, während das Publikum eigentlich einen Actionfilm sehen wollte.
    Frau Vogel unterband das aufkommende Getuschel, indem sie mit ihrem Riesenlineal zweimal auf den Tisch schlug.
    „Ruhe bitte! Hier vorne spielt die Musik!“
    Frau Vogel hatte einen sehr kleinen Kopf, der auf einem zu langen Hals steckte. Daher nannten wir sie alle nur Frau Vogel Strauß. Die war mit Sicherheit schon über sechzig. Ihrem Gesicht sah man das allerdings nicht an. Das war faltenfrei wie ein stramm gezogenes Bettlaken in einem katholischen Mädcheninternat. Entweder ließ sie sich regelmäßig liften oder sie cremte ihr Gesicht mehrmals täglich ein. So wie meine Mutter. Die kämpfte auch verbissen mit Cremchen, Salben und Pillen gegen das Altern an.
    Derzeit schmierte sie ihre, wie sie sagte, alten kaputten Knochen täglich mehrfach mit Pferdesalbe ein. Kamelsalbe hätte meiner Meinung nach wesentlich besser zu ihr gepasst.
    „Das Zeug hilft auch bei Menschen. Da sind ätherische Öle drin“, erklärte sie ihren Tick. Jede Menge ätherische Öle waren da drin, keine Frage. Seitdem sich Mutter mit Salben für Pferde einrieb, roch es in unserem Haus, als ob ein Koalabär ins Treppenhaus gekotzt hätte. Eukalyptus ohne Ende.
    Neben mir saß eigentlich Lore. Aber die hatte heute ja was zu besorgen. Was auch immer. Thomas, der zwei Reihen vor mir seinen Hals verrenkte, sah mich fragend an. Ich zuckte nur mit den Schultern, tat so, als ob ich nicht wüsste, warum Lore fehlte. Thomas drehte sich wieder um. Er holte sein Handy aus der Hosentasche, sah drauf und steckte es wieder ein.
    Ich zog mein vollgeschmiertes Mathebuch, einen Collegeblock und meine Zigarrendose mit Stiften aus dem Rucksack. Alles legte ich vor mir auf den Tisch. Doch kaum fing Frau Vogel Strauß an, über lineare Funktionen zu schwadronieren, schweiften meine Gedanken ab. Zu Jungs und Hamstern.
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