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Julie u Julia - 365 Tage, 524 Rezepte Und 1 Winzige Küche

Titel: Julie u Julia - 365 Tage, 524 Rezepte Und 1 Winzige Küche
Autoren: Julie Powell
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und Reservetaschentücher. Und das Buch.
    Ich stieß eines Dienstagnachmittags darauf, als ich nach Münzen suchte. Ich war elf Jahre alt, und dienstags und donnerstags hatte ich Schauspielunterricht in der North Burnet Street, hinter dem Nighthawk Café. Ich nahm immer fünfzig Cents mit, damit ich mir danach eine Cola aus dem Automaten ziehen konnte. Normalerweise holte ich mir das Geld aus dem großen Topf auf dem Regal über der Waschmaschine, aber das hatte Mom gerade zur Bank gebracht, deshalb plünderte ich Dads Badezimmerschrank.
    Es war nur ein flaches, schwarzes, in Leinen gebundenes Buch, das tief hinten im Schrank mit dem Rücken nach unten stand, so dass der Titel nicht zu sehen war. Schutzumschlag gab es keinen mehr. Es war mir schon früher aufgefallen, aber ich dachte mir, Vater hatte sicher seine Gründe, warum er es so sorgsam versteckte. Wahrscheinlich war es furchtbar langweilig. Wahrscheinlich handelte es von Telefonrechnungen oder so was. Aber an diesem Nachmittag war ich ganz allein zu Hause, und plötzlich schoss es mir durch den Kopf: Warum sollte mein Vater ein langweiliges Buch verstecken?
    Kaum hatte ich das Buch aus seinem Versteck gefischt und den goldgeprägten Titel gelesen, war mir klar, dass ich es eigentlich sofort zurückstellen müsste. Aber da war es natürlich schon zu spät.
    Die ersten Seiten waren große Farbfotos auf festem, glänzendem Papier wie in einem Kunstbuch. Nur dass die Bilder einen Mann und eine Frau zeigten, nackt und beim Sex . Und keineswegs Sex wie im Kino. Davon hatte ich schon einiges gesehen, es gab bei uns ein Cinemax, und wenn wir bei Freunden übernachteten, schlichen wir uns spät abends ins Wohnzimmer und schauten uns »Friday After Dark« an. Aber diese Frau hatte Haare unter den Armen, und der Mann hatte überall Haare und man konnte richtig seinen Penis sehen, wie er in sie ein drang. Das war hardcore , wie die Videos, die Isabels Dad hinter den normalen Filmen versteckte, und zu denen ich vor lauter Verlegenheit nicht einmal hinzulinsen wagte. Der Mann und die Frau auf den Fotos sahen nicht mal gut aus. Sie waren alt . Eigentlich sahen sie aus wie meine Eltern - aber bei dem Gedanken wurde mir ganz anders, deshalb verdrängte ich ihn.
    Nach den Farbfotos kam ein langer Textteil mit Schwarzweißzeichnungen und Artikeln wie in einem Wörterbuch. Aha, das Buch war also ein Sex- Lexikon . Viele Wörter waren französisch. Es gab auch ganz einfache, wie »boots« oder »railways«, aber ich begriff nicht, wieso die in einem solchen Buch standen. Das war das Schlimmste: Bedeutete »boot« vielleicht etwas ganz anderes als »Stiefel«? Sagte ich jedes Mal, wenn ich Mom um die roten Plateaustiefel mit Reißverschluss anbettelte, die so gut zu meinem Miss-Piggy-Pulli passten, unabsichtlich etwas Unanständiges?
    Die Haustür lag gleich neben der Tür zum Elternschlafzimmer. Als ich Moms Schlüssel im Schloss hörte, blieb mir gerade noch Zeit genug, zum Schrank zu hechten und das Buch zurückzulegen, bevor sie mich fand.
    »Fertig, Jules? Was machst du da?«
    »Ich hab mir grad Geld für die Cola geholt.«
    Sie weiß es!, dachte ich, aber sie sagte nur: »Los, fahren wir, sonst kommst du zu spät«, und ging gleich wieder hinaus.
    Den ganzen Unterricht lang machte ich mir Sorgen - hatte ich es falsch zurückgestellt? Mir fiel ein, wie Winston Smith, die Hauptperson des Romans »1984«, ein Haar über sein Tagebuch legt, damit er merkt, wenn jemand es geöffnet hat. Dad hatte »1984« gelesen, das wusste ich, von ihm hatte ich es ja bekommen. Die Schauspiellehrerin ließ mich eine Szene mit Caleb spielen, der wie Jason Bateman als Kinderstar aussah, aber ich konnte ihn nicht anschauen, ohne an die Bilder in diesem Buch zu denken. Ich vergaß meinen Text - sonst vergaß ich nie meinen Text, ich hatte das beste Gedächtnis in der Klasse. Als ich nach dem Unterricht auf Mom wartete, trank ich meine Cola, aber ich schmeckte kaum etwas, mein ganzer Mund prickelte wie bei Kaugummi mit Zimtgeschmack. Doch als sie kam, verhielt sie sich ganz normal. Wir fuhren heim, und Dad saß wie immer im Sessel und löste Kreuzworträtsel.
    Es war sehr, sehr schlimm, dass ich in meinem Alter dieses Buch las. Das wusste ich. Ich hinterging meine Eltern. Ich war ein böses Kind. Jedes Mal, wenn ich in das Zimmer meiner Eltern schlich, flüsterte ich mir zu: »Zum letzten Mal, zum letzten Mal.« Aber das war gelogen. Ich war in einen Abgrund gestürzt, ich war besudelt und
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