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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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Antwort: in meinem Herzen. Spricht in deinem Herzen etwas anderes als dein Herz? Armes, thörichtes Herz! Die Religion, meint Julie, mache unendlich liebenswürdig. Sie unternimmt es, dem „scharfblickenden“ Wolmar durch ihren Wandel zu zeigen, welche Früchte die Religion trage und ihm so die Religion zum Bedürfniß zu machen. Wird nicht der Scharfblickende sagen: Nicht die Religion macht dich liebenswürdig, sondern du machst die Religion liebenswürdig?
    Gott offenbare sich durch seine Vorsehung. Julie fühlt, indem sie betet, daß Gott bisher ihr ganzes Leben wunderbar gelenkt hat und besonders, daß er den großen Umschwung. der in ihrer Seele nach der Trauung stattgefunden, hervorgebracht habe. Gleich darauf gesteht sie ein, daß die jähe Veränderung ihrer Lage diesen Umschwung bewirkt habe. Ist also die Veränderung der Lage Gott? Nein: Aber Gott ist es, der diese Veränderung bewirkt hat. Woher weißt du das? Mein Gefühl sagt es mir.
    Die Vorsehung sei doch aber unverkennbar. Wir wollen sehen! In ihrer ersten Jugendzeit sahen die beiden Freundinen den Tod der Chaillot als ein Werk der Vorsehung zu ihrem Besten an. Wenn die Vorsehung für die beiden Freundinen sehr gut gesorgt hat, so hat sie für die arme Chaillot sehr schlecht gesorgt. Ist sie der Chaillot Vorsehung nicht? Für die Spinne, der sie die Mücke zum Fressen giebt, sorgt sie sehr gut; wie aber für die Mücke? Es wird auch dafür gestritten, ob die Vorsehung nur vermittelst der natürlichen Gesetze wirke, oder in aller Freiheit. Julie behauptet gegen Saint-Preux das letztere. Wer sagt dir aber, daß nicht das angebliche Wunder der Vorsehung ein Werk des Zufalls sei? Das sagt mir — mein Gefühl. Die Vorsehung ist. Aber man muß ihr unter die Arme greifen. Julie sagt: man müsse die Armen nicht mit einem Gotthelf abfertigen; es gäbe keine Kornböden, als die der Reichen. Die Vorsehung der Katholiken war klüger: sie legte Kornböden Gottes an, nämlich Kloster- und Kirchengüter.
    Wer an Gott nicht glaube, müsse die ganze Natur todt finden; sie schweige ihm ewig. Spricht sie aber nicht von sich selbst? Zeigt sich in ihrer Ordnung und Harmonie nicht ihre Ordnung und Harmonie? Dem Herzen freilich ist die Natur auf andere Weise lebendig; denn es findet in der Natur nur — sich. Sich, sein Gefühl, sein Entzücken nennt es Gott.
    Der Atheismus sei seiner Natur nach trostlos. Er sei den Reichen und Großen günstig, aber nicht dem armen, geplagten Volk, das sich nicht nur mit der Hoffnung eines besseren Lebens allen Trost entrissen sehe, sondern auch den einzigen Zügel, der noch die Mächtigen hemme und ihre Tyrannei mäßige. Was hilft der Zügel, wenn die Mächtigen eben Atheisten sind? Höchstens kann das Volk hoffen, einst an ihnen gerächt zu werden. Ein schöner Trost. Und die „Hoffnung eines bessern Lebens" ist kein schönerer. Das arme, elende Volk schaffe sich ein besseres Leben, so braucht es keinen Trost.
    Wenn Gott nicht wäre, so hätte der Mensch keine Ursache, das Unrecht zu meiden. Aber Julie führt selber Gründe an, das Unrecht zu meiden, die für Materialisten und Atheisten gelten. Vernunftgründe nennt sie diese. Aber, sagt Julie, „wo soll man die gesunde Vernunft suchen, als bei Dem, der ihre Quelle ist?" Wo? Die Antwort ist nicht schwer: bei jedem gesunden und mündigen Menschen. Man wird da freilich nur die gesunde Vernunft dieses Menschen finden. Aber wenn nun Einer gar nicht einräumt, daß es eine allgemeine gesunde Vernunft gebe! Sind nicht Juliens Vernunftgründe auch nur eben Juliens Gründe? Der Atheist, sagt Julie, könne wohl auch rechtschaffen sein, vorausgesetzt, daß er das Gute aus Neigung liebt; wenn aber seine Neigung umgekehrt wäre, so würde er umgekehrt handeln. Ganz recht! Aber was ist denn das Gute? Das ist leicht zu erkennen, sagt Julie. „Alles was unzertrennlich ist von der Idee Gottes, ist von Gott, alles Uebrige Menschenwerk". Da müßte man doch erst das Wesen Gottes genau und Punkt für Punkt kennen.
    Das Wesen Gottes? Ja, das Wesen Gottes „ist uns unbekannt." „Wir wissen nicht was Gott ist. Genug, daß wir wissen, daß er ist". Das ist aber nicht genug, um sein Wesen, also das Gute zu erkennen.
    „Die wahre Religion streitet nicht wider die Natur". Gewiß nicht, denn die schöne Seele hat beide geschaffen. „Sie streitet auch nicht wider die Vernunft". Gewiß nicht, denn die Vernunft der schönen Seele ist der schönen Seele Vernunft. „Und selbst, wenn es ein unendliches Wesen
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