Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jugend

Jugend

Titel: Jugend
Autoren: Josef Conrad
Vom Netzwerk:
Beinen halten konnten – und versuchte, den nassen Sand schaufelweise nach Luv hinaufzuwerfen. Bei jedem Überholen des Schiffes konnte man im trüben Kerzenlicht undeutlich einige Männer unter wildem Gefuchtel der Schaufein hinstürzen sehen. Einer der Schiffsjungen (wir hatten zwei) war so beeindruckt von der Grausigkeit der Szene, daß er weinte, als wolle ihm das Herz brechen. Wir hörten ihn irgendwo im Dunkeln schluchzen.
    Am dritten Tag flaute der Sturm ab, und bald darauf pickte uns ein Schlepper aus dem Norden auf. Alles in allem benötigten wir sechzehn Tage von London bis nach dem Tyne! Als wir dann den Hafen erreichten, hatten wir unseren Ladetermin verpaßt, und man verholte uns nach einem Liegeplatz, wo wir einen Monat blieben. Mrs. Beard (der Kapitän hieß Beard) kam aus Colchester angereist, um bei ihrem Mann zu sein. Sie wohnte ward, ein Mulatte, der auf den Namen Abraham an Bord. Die Mannschaf war abgemustert, und nur die Steuerleute, ein Schiffsjunge und der Stehörte, waren verblieben. Mrs. Beard war eine alte Frau mit einem Gesicht, verhutzelt und rot wie ein Winterapfel, und der Figur eines jungen Mädchens. Einmal sah sie, wie ich mir einen Knopf annähte, und bestand darauf, daß ich ihr meine Hemden zum Flicken gäbe. Das war ich von den Kapitänsfrauen auf meinen Prachtklippern nicht gewohnt. Als ich ihr die Hemden brachte, sagte sie: Und die Socken? Die müssen doch sicher gestopf werden, und Johns – Kapitän Beards – Sachen sind jetzt alle ausgebessert. Ich bin froh, wenn ich etwas zu tun habe.‹ Gott segne die alte Frau. Sie setzte mir meine ganze Ausrüstung instand, und währenddessen las ich zum erstenmal Sartor Resartus und Burnabys Ritt nach Khiva. Von ersterem verstand ich damals nicht viel; doch ich erinnere mich noch, daß ich den Soldaten dem Philosophen vorzog; eine Vorliebe, in der mich das Leben nur bestärkt hat. Der eine war ein Mann, und der andere war entweder mehr – oder weniger. Nun, sie sind beide tot, und Mrs. Beard ist tot, und Jugend, Kraf, Genie, Gedanken, Taten, einfältige Herzen – alles stirbt … Macht nichts.
    Endlich wurde mit dem Laden begonnen. Wir heuerten eine Mannschaf an. Acht Matrosen und zwei Schiffsjungen. Eines Abends verholten wir an die Bojen bei den Dockschleusen, klar zum Auslaufen und mit ziemlich sicherer Aussicht, am nächsten Tag die Reise antreten zu können. Mrs. Beard sollte mit einem Nachtzug nach Hause fahren. Als das Schiff festgemacht war, setzten wir uns zum Tee. Wir waren während der Mahlzeit alle ziemlich still – Mahon, das alte Ehepaar und ich. Ich war als erster fertig und schlich mich hinaus, um zu rauchen. Meine Kammer lag in einem Deckshaus unmittelbar vor der Poop. Es war Hochwasser; eine frische Brise wehte und es nieselte. Beide Schleusentore standen offen, und die Kohlenpötte dampfen in der Dunkelheit ein und aus, mit hellbrennenden Lampen, laut schlagenden Schrauben, ratternden Winden und viel Gerufe von den Molenköpfen her. Ich beobachtete diese Prozession der Topplichter, die hoch oben, und der grünen Lichter, die tief unten in der Nacht dahinglitten, als plötzlich ein roter Schein vor mir auflinkte, verschwand, wieder in Sicht kam und sichtbar blieb. Das Vorderteil eines Dampfers tauchte dicht vor mir auf. Ich rief in die Kajüte hinunter: ›Kommt herauf, schnell!‹ und hörte dann eine erstaunte Stimme, die in der Ferne sagte: ›Lassen Sie stoppen!‹ Eine Glocke schrillte. Eine andere Stimme rief warnend: ›Wir laufen genau auf die Bark zu, Sir.‹ Die Antwort hierauf war ein mürrisches: ›Schon gut‹, und unmittelbar danach kam es zu einem schweren Zusammenstoß, als uns der Dampfer mit seinem breiten Bug etwa in Höhe der Fockwanten streife. Einen Augenblick lang herrschte Verwirrung, Geschrei und Gerenne. Dampf wurde brüllend abgelassen. Dann hörte man jemand sagen: ›Alles klar, Sir.‹ … ›Bei Ihnen alles in Ordnung?‹ fragte die mürrische Stimme. Ich war nach vorn gesprungen, um den Schaden zu besehen und rief zurück: ›Ich denke schon.‹ ›Langsam zurück‹, sagte die mürrische Stimme. Eine Glocke schrillte. ›Was für ein Dampfer ist das?‹ schrie Mahon. Da war das Schiff aber bereits nur mehr ein unförmiger Schatten, der ein wenig weiter von uns ab manövrierte. Sie riefen uns irgendeinen Namen zu – einen Frauennamen, Miranda oder Melissa – oder so ähnlich. ›Das bedeutet einen weiteren Monat in diesem verflixten Nest‹, sagte Mahon zu mir, als wir uns
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher