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Jugend

Jugend

Titel: Jugend
Autoren: Josef Conrad
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Fenster an meiner Koje, auf der ich schlaflos lag, gestiefelt und mit dem Gefühl, schon jahrelang nicht mehr geschlafen zu haben, ja, gar nicht schlafen zu können, wie sehr ich mich auch anstrengte. Er sagte aufgeregt: ›Haben Sie den Peilstock hier drinnen, Marlow? Ich kann die Pumpen nicht in Gang bringen. Bei Gott! es ist kein Kinderspiel.‹ Ich gab ihm den Peilstock, legte mich wieder hin und versuchte, an allerlei zu denken – doch ich dachte nur an die Pumpen. Als ich an Deck ging, waren sie noch immer dabei, und meine Wache löste sie an den Pumpen ab. Im Licht der Lampe, die an Deck gebracht worden war, um den Peilstock ablesen zu können, tat ich einen Blick in die müden, ernsten Gesichter. Wir pumpten die ganzzen vier Stunden hindurch. Wir pumpten die ganze Nacht, den ganzen Tag, die ganze Woche hindurch – Wache für Wache. Die Bark arbeitete sich lose und leckte stark – nicht so stark, um uns auf der Stelle zu ertränken, doch stark genug, um uns mit der Pumparbeit umzubringen. Und während wir pumpten, entglitt uns das Schiff stückweis: das Schanzkleid ging über Bord, die Stützen wurden herausgerissen, die Ventilatoren zerschlagen, die Kammertüren eingedruckt. Kein trockenes Fleckchen war mehr auf dem Schiff. Stück für Stück wurde es ausgeweidet. Das Großboot verwandelte sich dort, wo es in seinen Bootsklampen stand, wie durch Zauberei in Kleinholz. Ich hatte es selbst festgezurrt und war stolz auf meiner Hände Arbeit gewesen, die dem Grimm der See so lange standgehalten hatte. Und wir pumpten. Und das Wetter änderte sich nicht. Das Meer war weiß wie ein Laken aus Gischt, wie ein Kessel siedender Milch; die Wolken rissen nirgends auf, nein – keine Handbreit – nicht für zehn Sekunden. Für uns gab es weder Himmel noch Sterne, noch Sonne, noch ein Universum – nichts als zornige Wolken und eine wütende See. Wir pumpten Wache für Wache, pumpten ums liebe Leben; und es schien Monate so weiterzugehen, Jahre, in alle Ewigkeit: als wären wir schon gestorben gewesen und in die Hölle der Seefahrer niedergefahren. Wir vergaßen den Wochentag, den Monat, vergaßen, was für ein Jahr es war und ob wir je an Land gewesen. Die Segel flogen davon, das Schiff lag beigedreht nur mit einem Schauerkleid im Besanwant; der Ozean ergoß sich über die Bark, und wir kümmerten uns nicht darum. Wir drehten die Kurbeln und hatten Augen wie Schwachsinnige. Sobald wir an Deck gekrochen waren, pflegte ich ein Tau um die Männer, die Pumpen und den Großmast zu legen, und wir drehten, pumpten unablässig, während uns das Wasser bis zum Gürtel, zum Hals reichte, über unseren Köpfen zusammenschlug. Es war uns alles gleich, wir hatten vergessen, wie es war, wenn man sich trocken fühlt.
    Und irgendwo in mir regte sich der Gedanke: Himmel! das ist doch ein rechtes Höllenabenteuer – etwas, wie man es nur in Büchern liest; und es ist meine erste Reise als Zweiter Offizier – und ich bin erst zwanzig Jahre alt – und hier stehe ich, halte so gut durch wie jeder andere und habe meine Leute in Form. Ich hatte meine Freude. Diese Erfahrung hätte ich nicht um alles in der Welt drangegeben. Ich erlebte Augenblicke der Begeisterung. Jedesmal wenn das alte, abgetakelte Fahrzeug mit dem Bug tief eintauchte, das Hinterteil hoch in der Luf, dann schien es mir, als schleudere es die auf sein Heck geschriebenen Worte wie einen Anruf, wie eine Herausforderung, wie einen Schrei hinauf zu den erbarmungslosen Wolken: ›Judea, London. Kämpfen oder untergehen.‹ O Jugend! Ihre Stärke, ihr Glaube, ihre Phantasie! Für mich war das Schiff nicht ein alter Kasten, der einen Haufen Kohle als Fracht mit sich um die Welt schleppte – für mich war es das Trachten, die Probe, der Prüfstein des Lebens. Ich denke mit Freuden an das Schiff, mit Zärtlichkeit, mit Kummer – wie man eines Toten gedenkt, den man geliebt hat. Ich werde es nie vergessen … Bitte, die Flasche.
    Eines Nachts, als wir, an den Mast gebunden, wie ich es geschildert habe, weiterpumpten, taub vom Wind und ohne genügend Seelenkraf in uns, um den Tod herbeizusehnen, brach eine schwere See auf Deck und fegte über uns hin. Sobald ich wieder zu Atem kam, brüllte ich, ›Festhalten, Jungs!‹ doch da spürte ich etwas Hartes, das an Deck trieb und mir gegen die Wade schlug. Ich griff danach, verfehlte es aber. Es war so dunkel, daß auch auf Fußbreite keiner des anderen Gesicht erkennen konnte – ihr versteht!
    Nach dieser Erschütterung lag
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