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Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Titel: Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders
Autoren: Paul Moor
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Makel der Gefährlichkeit befreien. Ob der Eingriff überhaupt sinnvoll gewesen wäre, läßt sich nachträglich schwer beantworten. Im Hinblick auf die Schwere der Taten hätte man vermutlich auch nach einer gelungenen Operation nicht so bald gewagt, Jürgen Bartsch die Freiheit zu geben.
    Es mag sein, daß dieses Zögern sogar dann nicht berechtigt gewesen wäre, hätte Bartsch den Eingriff nicht durchführen lassen. Die Taten sind, wie schon gesagt wurde, wenigstens teilweise als Versuche zu werten, zum anderen Menschen durchzudringen. Gewalt ist das Mittel, zu dem gegriffen wird, wenn es keine anderen Kommunikationsmöglichkeiten mehr gibt. Die Brutalität, mit der Jürgen Bartsch vorging, war zugleich Ausdruck der Rache des Prügelknaben, der plötzlich stark genug geworden war, um in den Opfern seine früheren Peiniger zu quälen. Jürgen Bartsch hatte eine gute Chance, aus diesem Stadium herauszuwachsen. Als gereifter, als «erwachsener» Mann hätte er diese Rache-Rituale nicht mehr nötig gehabt.
    Wilfried Rasch
     
    Jürgens Tod erinnerte mich an eine Geschichte über die Dichterin Dorothy Parker, die ich als Dreiundzwanzigjähriger in New York gekannt hatte, eine Geschichte, die in die literarische Folklore eingegangen ist. Dorothy war mit ihrem weltberühmten, alkoholsüchtigen, von Familiensorgen gepeinigten Kollegen F.   Scott Fitzgerald eng befreundet. Als sie die aufgebahrte Leiche ihresneununddreißig Jahre alten Freundes in Hollywood tief bewegt betrachtete, faßte sie ihre komplizierten Emotionen knapp zusammen: «The poor son of a bitch.» Als ich damals in New York die Nachricht von Jürgens Tod bekam, dachte ich unwillkürlich: Das arme Schwein   …
    Ein paar Tage später, am 6.   Mai 1976, las ich in der nordamerikanischen Ausgabe der
Zeit:
     
    Am Mittwoch letzter Woche starb der vierfache Kindesmörder Jürgen Bartsch im Alter von 29   Jahren nach einem operativen Eingriff zur Entfernung der Keimdrüsen im Westfälischen Landeskrankenhaus Eickelborn bei Soest. Bartsch war aus der Narkose, die ein Krankenpfleger vorgenommen hatte, nicht mehr erwacht. Als Todesursache wurde Herzversagen angegeben   …
     
    Jürgen war schon mehr als zehn Monate tot, als die Deutsche Presse-Agentur am 17.   März 1977 meldete:
     
    Paderborn (dpa). Gegen den 58jährigen Chirurgen Dr.   Josef Hollenbeck, der den vierfachen Kindesmörder Jürgen Bartsch operiert hatte, hat die Staatsanwaltschaft Paderborn jetzt Anklage wegen fahrlässiger Tötung in zwei Fällen erhoben. Der leitende Staatsanwalt Rüdiger Feldmann teilte am Mittwoch zur Begründung mit, Dr.   Hollenbeck seien bei der Operation an der damals 32   Jahre alten Brigitte Wesselink und dem damals 29jährigen Bartsch am 22. und 28.   April 1976 im Landeskrankenhaus Eickelborn «gravierende Operationsfehler» unterlaufen, an deren Folgen beide Patienten starben.
    Brigitte Wesselink starb nach einer Sterilisation, Bartsch nach einem Kastrationseingriff auf dem Operationstisch. Die Staatsanwaltschaft wirft Hollenbeck vor, den Tod der Patienten deshalb verschuldet zu haben, weil in beiden Fällen ein falscher Verdampfer am Narkosegerät verwendet worden war. Dadurch sei den Patienten eine tödliche Konzentration des Narkosemittels zugeführt worden.
     
    Einen Ausschnitt aus dem Berliner
Tagesspiegel
habe ich aufgehoben, der drei Tage danach erschien:
     
    Mehr öffentliche Aufklärungsarbeit über Ursachen und Folgen der körperlichen und seelischen Kindesmißhandlung forderten in Bonn der Präsidentdes Deutschen Kinderschutzbundes, Prof.   Dr.   Kurt Nitsch, und die Medienbeauftragten der katholischen und evangelischen Kirche, Pfarrer Wilhelm Schätzler und Oberkirchenrat Hermann Kalinna. Notwendig sei ein Bewußtseinswandel der Bevölkerung und eine grundlegende Änderung der Einstellung zur Gewaltanwendung in der Erziehung. Prof.   Nitsch warnte davor, Kindesmißhandlung als ein Problem sozialer Randgruppen zu betrachten. Der in Psychoterror ausartende Leistungszwang in bürgerlichen Kreisen sei nicht minder gefährlich. Nach jüngsten Veröffentlichungen der Aktion «Das sichere Haus» werden jährlich in der BRD etwa 600   Kinder von Eltern oder Verwandten zu Tode gequält und zwischen 20   000 und 30   000   Kinder krankenhausreif geprügelt. Fachleute bezeichnen diese Zahlen als «Spitze eines Eisberges». (fib)
     
    Die Rolle des Unbewußten beim Tod von Jürgen interessierte mich. Seine eigene Bereitschaft zum Sterben war mir
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