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Josef und Li: Roman (German Edition)

Josef und Li: Roman (German Edition)

Titel: Josef und Li: Roman (German Edition)
Autoren: Anna Vovsova
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lediglich die Erlaubnis, hier Tee zu kochen, und kein Essen! Eine Teestube ist eine Teestube und kein Restaurant!«, rief die eine Kontrolleurin aus und Josef konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie diese Erkenntnis freute.
    »Und außerdem sind hier die Wände feucht!«, setzte die andere nach, die wohl nicht hinten anstehen wollte und angeekelt mit dem Finger die Wand entlangfuhr.
    »Und feuchte Wände sind für die öffentliche Verköstigung unzulässig!«
    Und dann überbot die eine die andere, als ob sie ein Spiel spielen würden, wer etwas noch Abstoßenderes über die Lustige Teh Cann zu sagen wusste, und Herr und Frau Nguyen blickten sie verwirrt an, verstanden kein Wort und wussten sich überhaupt nicht zu wehren. Erst als eine der Kontrolleurinnen verkündete, dass in der Teestube außer Schimmel, Bazillen und Nagetieren auch ein Haufen Ungeziefer zu finden sei, hatte sich Frau Nguyen endlich gefangen und sagte, dass in ihrer Teestube keinerlei Käfer, Falter, Spinnen, Fliegen und auch keine Ameisenbären zu finden seien – Frau Nguyen hatte in ihrer Aufregung wohl Ameisen mit Ameisenbären verwechselt –, dass sich bei ihnen noch nie jemand beschwert hatte, und das deswegen, weil bei ihnen nur erstglasiges Essen und Trinken verkauft wurde!
    »Ja sicher, erstglasiges«, setzte ihr die eine Kontrolleurin spöttisch entgegen. Und die andere Kontrolleurin setzte noch eins drauf und sagte, dass ihr das Essen gar nicht erstklassig vorkam, dass die Portionen zu klein waren und dass ihre Kollegin damals mehr Fleisch auf dem Teller hatte als sie. Solch eine Verunglimpfung war für Herrn Nguyen schwer zu ertragen. Dass man von ihm denken würde, er würde seine Gäste betrügen und nicht das Beste für sie wollen. Und er wehrte sich gleich, er wisse, wer mehr Fleisch braucht und wer mehr Grünzeug, er brauche einen Menschen nur anzusehen und ihm sei klar, was für wen besser sei. Und als er die erste Kontrolleurin sah, wusste er gleich, dass sie mehr der Löwe war und mehr Fleisch brauchte, wohingegen
die andere mehr so die Kuh war, die mehr Grünes brauchte.
    »Wie ein Löwe? Wie eine Kuh?«, wiederholten die Kontrolleurinnen und stierten den zarten asiatischen Mann an, der sie arglos anblickte und gar nicht so aussah, als wolle er die beiden beleidigen. Das wollte er keineswegs! Aber das wussten wieder einmal nur Josef, Li und Frau Nguyen.
    »Machen wir es kurz«, sagte die Kontrolleurin, die Herrn Nguyen an einen Löwen erinnerte, nach kurzer Atempause, »der Laden wird mit sofortiger Wirkung geschlossen! «
    »Bis spätestens in zwei Wochen bekommen sie es schriftlich! «, sagte die andere, die laut Herrn Nguyen mehr Grünes vertragen konnte. Und Josef hatte das Gefühl, sie hätte am Ende des Satzes etwas gemuht.
    Das geht doch nicht! Das ist doch nicht möglich, ging es ihm durch den Kopf, und Ähnliches ging sicher auch Li und ihren Eltern durch den Kopf. Die Lustige Teh Cann darf nicht geschlossen werden! Was war das für eine Schufterei gewesen, bis aus den dunklen, unwirtlichen und muffigen Räumen so ein gemütlicher Ort wurde! Was für Sorgen waren damit verbunden! Wie viel Geld, Tränen und Schweiß! Und jetzt, nachdem sie sich endlich zusammengerauft hatten, als es ihnen endlich etwas besser ging und Frau Nguyen nachts nicht mehr von ihrem alten Heim in Phu Tinh Gia, von der Brandung des Meeres und dem Palmengarten träumte, sollten sie alles aufgeben?
    Frau Nguyen blickte Herrn Nguyen an und seufzte: »Was mache wir jetzt?« Das wussten die Kontrolleurinnen nun
auch nicht. Sie zuckten gleichgültig mit den Schultern, setzten ihren Hut auf und waren weg.
    »Was solle wir jetzt tun?«, sagte jetzt auch Herr Nguyen und es schien, als ob beide gleich anfingen, ganz schnell rote Chilischoten zu schneiden. Doch sie taten es nicht. Herr Nguyen umarmte Frau Nguyen, lächelte ihr zu und flüsterte ihr ins Ohr: »Warum nicht schwimme gehe in unsere Meer?«
    »Nach Hause zurück?«, versicherte sich Frau Nguyen und Herr Nguyen nickte.
    Li und Josef standen in der Küchenecke und wussten überhaupt nicht, was sie sagen, und schon gar nicht, was sie tun sollten. Li wusste es nicht und Josef schon gar nicht.
    Der Gedanke, dass Li fortgehen sollte, war für Josef so schrecklich, dass er nicht essen konnte, nicht sprechen, lesen oder sich die Direktübertragung des Fußballspiels seiner Lieblingsmannschaft anschauen.
    Und als alle schlafen gegangen waren, stand er immer noch am Fenster in seinem Zimmer
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