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Jones, Susanna

Jones, Susanna

Titel: Jones, Susanna
Autoren: Wo die Erde bebt
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erwies, und die Tatsache, dass ich Lily problemlos überrumpeln konnte, da sie noch immer glauben wollte, dass wir Freundinnen bleiben würden, sodass sie mich sogar anlächelte. Die Schlussszene: Lilys überraschtes Aufquäken, ihr kurzer, kläglicher Kampf. Ihr schwerer lebloser Körper, noch warm, als ich ihn zum Versteck schleifte. Ich erzähle ihnen die lange, unkomplizierte Geschichte, und endlich sind sie mit mir zufrieden.
    Ein Mann führt mich einen Korridor entlang. Er scheint nicht derselbe zu sein, den ich vor mehreren Stunden gesehen habe. Die Wände sind schmutzig. Der Boden fühlt sich unter den Füßen glitschig an. Hier gibt es keine Leuchtstoffröhren, nur einzelne Glühbirnen, die in Abständen von der Decke hängen. Ich mache die Augen zu, aber die Glühbirnen blenden trotzdem weiter, eine nach der anderen.
    Nein, ich habe Lily nicht getötet. Lucy ist an dem Mord unschuldig und hat sich lediglich des Märchenerzählens schuldig gemacht. Aber sie ist auch sehr müde. So viele Menschen sind mir schon durch die schussligen Finger geglitten, wie zu fest geschlagene Bälle auf einem sommerlichen Spielfeld, dass ich mir nicht mehr traue. Es wäre Unsinn, gegen meine Festnahme anzugehen, wenn ich doch weiß, dass ich wieder töten könnte. Ich würde mir gern eine Auszeit gönnen, eine Ruhepause. Und schließlich - wie unschuldig bin ich wirklich? Wie nicht schuldig? Hätte ich Lily am Telefon ausreden lassen, wäre sie an dem Abend nicht in meiner Straße gewesen. Ich war es, die Lily mit Teiji bekannt machte, und ich, die sie überredete, nicht nach Großbritannien zurückzukehren, als sie es tun wollte. Die Angeklagte muss entscheiden, auf was sie plädieren will. Und hier ist mein Schlusswort: Nicht schuldig, aber nicht nicht schuldig. Nicht ganz schuldig, aber auch nicht ganz unschuldig. In der Verhandlung mag die Wahrheit herauskommen, aber vorläufig bin ich die Mörderin.
    Mir fällt auf, dass ich nicht meine eigenen Sachen trage, sondern etwas Weiches, Baumwollenes. Ich nehme an, jemand hat mich aufgefordert, mich umzuziehen, mir erlaubt, mich zu duschen. Ich kann mich nicht daran erinnern. Ich fühle mich so, als könnte ich geschlafen haben, aber ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen ist, ob es eine Stunde oder eine Nacht war, ob es jetzt noch derselbe Tag ist oder schon morgen.
    Eine ausdruckslose männliche Stimme erklärt mir, dass ich zum Besuchsraum geführt werde, wo jemand auf mich wartet. Ich frage mich, wer mich wohl sehen will.
    Könnte es Teiji sein? Teiji mit einem vollständigen Namen, von dem er mir nie was erzählt hat. Teiji, der mich wegen meiner Freundin verlassen hat, warum hast du das getan, Teiji? Das ist die einzige Frage, die ich stellen werde, solltest du wirklich mein Besucher sein. Und die Antwort, die ich mir erhoffe, ist natürlich eine unmögliche Antwort, weil es eine Antwort ist, die uns erlaubt, Lily zu vergessen, dorthin zurückzukehren, wo wir beide waren, bevor ich sie zu uns hereinließ. Und ich glaube, ich sehe dich durch die offene Tür, aber schon löst du dich in nichts auf, so, wie sich schon deine Stimme verflüchtigte, wo sie doch alles war, was ich hören wollte. Ich wünschte, du würdest nicht gehen. Aber da, du bist weg, und mein Mut verlässt mich. Nein. Was hat Lucy sich da zusammengedacht? Ich weiß, dass mein Besucher nicht Teiji sein kann, denn er ist in Hokkaido. Er hat keinen Grund herzukommen, und die Polizei wird ihn in der Stadt oder in den Bergen niemals finden. Er hat sich bereits in Schatten aufgelöst.
    Dann muss es also Miriam sein, die es satt hat, am Meer auf mich zu warten, und möchte, dass eine echte Tochter sie umsorgt und bekocht, nicht Felicity, und beim Gedanken an sie frage ich mich, wie sie nach Tokio gekommen sein könnte, wenn sie doch kaum aus dem Haus kann, ihre Schmerzen so schlimm sind, dass sie den ganzen Tag in ein und demselben Sessel sitzt, und das ist nicht möglich, also überlege ich mir, dass es stattdessen Jonathan sein könnte, der früher selbst Polizist war und jetzt gekommen ist, um mich nach Hause zu holen. Ich blinzle jetzt, weil meine Augen salzig sind, und ich kann beinah die See hören, und ich kann durch die offene Tür da vorne seine Gestalt erkennen, aber andererseits, woher sollte ich denn wissen, dass es Jonathan ist? Ich habe ihn nicht mehr gesehen, seitdem er fünfzehn, sechzehn, höchstens siebzehn war. Aber da ist er, und hinter ihm Miriam, die jetzt so alt und verhärmt aussieht und
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