Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Titel: Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)
Autoren: Rainald Goetz
Vom Netzwerk:
Wort über sie zu sagen, zumindest vor anderen Asspergianern. Ende der Woche würde Wenningrode eine zu Ehren des alten Assperg von dessen Frau kuratierte Ausstellung eröffnen, die den Titel hatte: »Die Rückkehr der Landschaft.« In der Vortragsaula des Stiftungssitzes, von dem aus die Asspergstiftung geführt wurde, war ein intimer Empfang im kleinsten Kreis von Führungskräften vorgesehen, die Festspiele anlässlich des achtzigsten Geburtstags von Berthold Assperg gingen also weiter, und Holtrop war froh, dass er ab morgen für einige Tage geschäftlich in den USA zu sein hatte.
    Der Fernseher in der Ecke von Holtrops Fitnesskeller meldete: Gosch plant Einstieg bei der Bahn. Der designierte Goschchef Messmer, 38 , eben auf Bloomberg im Interview, sagte dazu: »Ich bin stolz auf das Erreichte, aber weit davon entfernt, zufrieden zu sein.« Holtrop reagierte, hielt auf seinem Fahrrad inne und schaute konzentriert auf den Bildschirm, wo Kollege Messmer, eine schreiend bunte Kitschkrawatte umgebunden, seine Fertigsätze runterspulte. Holtrop stieg vom Rad. Ansonsten: Dax rauf, Dow runter, Asien heute Morgen unruhig. Dann meldete der Mann vom Wetter die Fundamentalfaktizität: »Der Normalzustand der Atmosphäre ist die Turbulenz.« Zwanzig Minuten später saß Holtrop, frisch geduscht und vom Sport am Geist rundum erfrischt, in seinem Wagen und ließ sich die 260 Kilometer nach Krölpa bringen.

V
    Das Wetter war schlecht, es war Freitagfrüh, die Autobahn war stark befahren. Durch Sprühregen, Nebel und Gischt raste Holtrops Wagen dahin, hinten im Fond brannte Licht, und es war warm im Inneren des Autos. Holtrop hatte beim Einsteigen Mantel und Degen abgelegt, das Jackett ausgezogen und seine Mappe mit den Unterlagen neben sich auf den Sitz geworfen. Jetzt blätterte er in denPapieren. Er führte Telefonate mit fernöstlichen Vasallen, erledigte seine elektronische Post und machte sich Notizen am Rand der Vorlagen zu den heutigen Gesprächen, um optimal vorbereitet zu sein. Die meisten Leute gehen unvorbereitet in die Verhandlungen, das konnte man sich zunutze machen, außerdem sind die Leute wirr, also steuerbar, die meisten wollen sogar gesteuert werden, sie wollen auch etwas davon merken, ein sie entlastendes Moment, etwas penetrant Direktivistisches will aber keiner spüren müssen, wozu er sich dann auch noch ganz explizit irgendetwas Konkretes bewusst denken müsste. Es muss laufen. Das war Holtrops Führungsphilosophie: »Wir müssen das Rad nicht neu erfinden, aber rund laufen sollte es schon.« Auch als Chef war er primär Marketinggenie, konnte sich und das von ihm Gewollte jedem verkaufen. Holtrop würde das schlechte Wetter draußen zwar auch nicht wegzaubern können, könnte aber jeden Menschen, der hier im Auto neben ihm säße, davon überzeugen, dass etwas Schöneres gar nicht vorstellbar wäre, als zwischen sieben und acht Uhr früh über diese Ostautobahn zu brausen, eng im Pulk mit all den anderen Verrückten, Stoßstange an Stoßstange hintereinander her, siebenfacher ABS , ixfacher Safeassistent, Driveself, Airbag allseits, und jeder auf die Art vollgas in seiner eigenen rasenden Einzelzelle unterwegs und mit anderen Absichten, Hoffnungen, Urdringlichkeiten befasst und davon gejagt, jeder anders verrückt und alle zusammen doch auch perfekt koordiniert bei Tempo 180 . So fetzte Holtrop also durch dieses kranke Mitteldeutschland dahin, ostwärts, hoch, tief, runter, rüber, weiter. Und der ganze Osten schnaubte, schniefte Rotz und Wasser, brodelte.
    Der Himmel kam endlich heller herunter und öffnete sich hinter Stranow, wo Holtrops Wagen von der A 88 abgefahren war. Es ging dann auf kleineren Straßen über dieuralten Weiten der thüringischen Großplateaus, erst über sie hin, dann immer tiefer in sie hinein. Gamma, Torse, Hettlich, trostlos weggeduckte Flecken, lächerliche Wü-sten dazwischen, der Dreck des Neuen an jeder Ecke, so billig, dass man nur in das allerbilligste Gelächter ausbrechen konnte. Aber Holtrop schaute hinaus und sah Möglichkeiten, die Dividende zu steigern. In jeder letzten Bruchbude wohnte ein Mensch mindestens, der noch nicht genügend laut von Fernsehwerbung angebrüllt wurde. »Das können wir ändern. Das werden wir ändern.« Assperg hatte für seine Mereo Dienste Krölpa auch den Ostmarktführer für Fernsehwerbung aufgekauft, TV -Prima, halbkriminelles Umfeld, das man halb mitgenommen hatte, halb bereinigen musste. Das würde geschehen und war auch teilweise
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher