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Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Titel: Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)
Autoren: Rainald Goetz
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schon geschehen, ohne dass die Geschäfte zu sehr darunter gelitten hatten. Neuerdings gab es dafür außerdem die Holtrop direkt zugeordnete Hauptabteilung CCC , Chief Counsel Compliance, wo Dr. Immo von Drawaert, 65 , imposante Erscheinung, sehr vertrauenerweckend und souverän amtierte, durchgreifend im Gesamtkonzern Assperg und allen Tochterfirmen zuständig für Good Corporate Governance, Antikorruption, Transparenz und Frauenquote und all die anderen weichen Managementthemen, die für das Bild der Firma in der Öffentlichkeit immer wichtiger wurden. Erst neulich war Drawaert bei Holtrop erschienen und hatte erklärt: »Was wir bei der Mereo Dienste immer noch an Zuständen haben, nach zwei Jahren strengster Maßnahmen, darf ich Ihnen schriftlich gar nicht aufschreiben, wie verhalten wir uns?« Ursel, Horre, Orla, Weste, die Straßen wurden kleiner, die Kurven enger, der Regen hatte aufgehört, langsam wurde es Tag. Die letzten zehn Kilometer vor Krölpa waren, von Westen kommend, schnurgerade Rasestrecke, Allee teilweise, teils mit Krampe bepflanzte Flachflächen beidseitsder Straße. Holtrop beugte sich zu Terek, seinem Fahrer, vor und sagte: »Haben Sie wegen der Tomatensuppe mit Dirlmeier gesprochen?« »Selbstverständlich«, antwortete Terek. »Danke, sehr gut«, sagte Holtrop.
    Dann waren sie da. ARROW PC . Das Haus strahlte. Anfang März 2000 , vor einer halben Ewigkeit von heute aus gesehen, als der Boom noch boomte, war der Bau eröffnet worden. Daneben ging es auf das alte Ostgelände. Die stählerne Schranke der Einfahrt ging hoch. Der Wagen rollte durch, der Pförtner grüßte aus dem Fenster seiner Kabine heraus mit gehobener Hand, Holtrop grüßte zurück, dann fuhren sie an der alten Hauptdruckerei vorbei, vorbei an der Baustelle für die Kantine, hinter zum DDR -Altbau, wo die Mereo Dienste residierte. »Wenige wissen, wer diesen Bau errichtet hat«, sagte Holtrop standardmäßig zu den Gästen, die ihn hier besuchten, um dann in die höfliche Interessiertheit des Gegenübers die Pointe möglichst matt fallenzulassen: »Ich auch nicht.« An der Art des folgenden Lachers konnte Holtrop erkennen, mit welchem Typus Mensch er es bei dem aktuellen Exemplar von Gegenüber zu tun hatte, der subalterne Idiot, der froh war, sich als erstes gleich ein bisschen locker lachen zu dürfen, ja, zu sollen, war leider der bei weitem häufigste Fall, wofür die Leute selber kaum verantwortlich zu machen waren, das lag, wie Holtrop wusste, an seiner Position. »Guten Morgen.« »Guten Morgen.« »Guten Morgen.« Die Türen wurden nicht gerade aufgerissen, aber die elektrische Spannung schnellte hoch in jedem Raum, den Holtrop betrat. Die Körper der Menschen erstarrten in Konzentration, um sich nichts anmerken zu lassen vom Schreck, von der Faszination, die das Erscheinen des Vorstandsvorsitzenden Johann Holtrop, der natürlich besonders höflich abwiegelnd auftrat, auslöste. Das war ein Kick, der Holtrop Energien zuführte, die er als Chef auchbrauchte, aber in der Hand haben musste, sich nicht anmerken lassen durfte. »Gleiche der Ratte nie«, so ein Spruch seines Großvaters, den der von Bismarck oder Seneca, vielleicht auch von Nietzsche oder irgendeinem anderen damals gerade aktuellen Haudegen für Unternehmerweisheiten hergeleitet hatte. Die gegenseitige Abhängigkeit von Ober und Unter machte Distanz erforderlich, für deren Einhaltung der Ober verantwortlich war. »Guten Morgen, Herr Doktor Holtrop.« »Guten Tag, Frau Därne.« Holtrop war im Vorzimmer seines hiesigen Statthalters Thewe angekommen, »Herr Thewe erwartet Sie schon«, sagte die Sekretärin, »darf ich Ihnen was zu trinken bringen?« »Gerne einen Kaffee«, antwortete Holtrop, »es dauert allerdings noch ein paar Minuten.«
    Er ging in sein eigenes Zimmer und machte die Türe zu. Er warf die Mappe auf den Schreibtisch und den Mantel auf den Stuhl daneben, zog das Jackett aus, hängte es über die Lehne seines Sessels und stand für einen Augenblick, um sich blitzartig zu sammeln, einfach nur so da. Dann setzte er sich. Die Tischplatte war leer, es lag nichts vor ihm, nur seine Mappe. Diese Leere euphorisierte Holtrop. Der erste Augenblick des Arbeitstags war geglückt. Die Uhr zeigte 08   :   58 , kurz vor neun, »sehr gut«. Holtrop machte die Lampe an und nahm den Telefonhörer in die Hand. Während er mit seinem Büro in Schönhausen telefonierte, ging sein Blick über die riesengroße Karte von Großeuropa, die ihm gegenüber an der
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