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Joel 4 - Die Reise ans Ende der Welt

Joel 4 - Die Reise ans Ende der Welt

Titel: Joel 4 - Die Reise ans Ende der Welt
Autoren: Henning Mankell
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Samuel sah sich um und ging zum Fenster. »Das Zimmer liegt zur Straße«, sagte er. »Na, es wird hoffentlich gehen.«
    Joel fand das Zimmer schön. Zum ersten Mal in seinem Leben wohnte er im Hotel. Er konnte sich nicht vorstellen, dass man es noch besser haben könnte. Zwei große Betten mit einem Tisch und einer Lampe dazwischen.
    »Welches Bett möchtest du haben?«, fragte Samuel.
    Joel wählte das Bett am Fenster. Von dort konnte er Hausdächer sehen. Vorsichtig packte er das Geschenk für Mama Jenny aus. Er hatte Angst, es könnte beschädigt sein. Zusammen mit Samuel untersuchte er das Schiff. »Alles noch ganz«, sagte Samuel. Joel stellte es vorsichtig auf die Kommode.
    »Celestine
ist genauso weit gereist wie wir«, sagte er. Sie streckten sich auf den Betten aus.
    »Zieh die Schuhe aus«, sagte Samuel. »Damit du den Bettüberwurf nicht schmutzig machst.«
    Im Kopf packte Joel seinen unsichtbaren Rucksack aus. Die Schwarze Welle würde bestimmt alles wegwerfen, was darin war. Joels Hemden, seine beste Hose. Und die Turnschuhe. Das war das Schlimmste, dass er die nicht mehr hatte. »Denk nicht an den Rucksack«, sagte Samuel plötzlich. »Es ist, wie es ist. Er ist weg.«
    »Ich denke nicht an den Rucksack«, antwortete Joel. »Ich hab an meine Turnschuhe gedacht.«
    Sie lagen still da. Jetzt goss es in Strömen. Hart prasselten die Tropfen gegen die Fensterscheibe.
    Ich bin in Stockholm, dachte Joel. Ich muss nicht mehr in die Schule. Ich bin mit Samuel hierher gefahren. Und irgendwo da draußen im Regen gibt es Mama Jenny. Er drehte den Kopf und schaute Samuel an. Seine Augen waren geschlossen. Aber er schlief nicht. »Was wollen wir jetzt machen?«, fragte Joel.
    »Warten, bis es aufhört zu regnen«, antwortete Samuel ohne die Augen zu öffnen. »Vielleicht regnet es eine ganze Woche lang.«
    Samuel antwortete nicht. Er lächelte. Joel fragte sich, was er denken mochte. Bestimmt an Mama Jenny. Aber waren es unruhige Gedanken? Oder war er wütend?
    Joel beschloss zu prüfen, ob es nicht leichter wäre, Samuel Fragen zu stellen, wenn er nicht zu Hause war. Vielleicht war es leichter, Antwort auf Fragen zu bekommen, wenn man sich in einem Hotelzimmer aufhielt? »Was ist eigentlich passiert?«, fragte er.
    Samuel drehte den Kopf und schlug die Augen auf. »Passiert?«
    »Als Mama Jenny verschwand?«
    »Sie hat ihren Koffer genommen und ist gegangen.« Joel wartete auf eine Fortsetzung, aber die kam nicht. »Mehr war das nicht? Sie hat ihren Koffer genommen und ist gegangen, einfach so?« »Ja.«
    »Aber da muss doch noch was gewesen sein?«
    »Der Koffer war braun. Sie trug einen grünen Mantel. Und einen roten Hut. An die Farbe ihrer Schuhe kann ich mich nicht erinnern.«
    »Und du warst im Wald?«
    »Ich war im Wald.«
    »Und wo war ich?«
    »Du warst unten bei der alten Westman. Sie hat immer auf dich aufgepasst, wenn Jenny einkaufen ging oder ihren Mittagsschlaf halten wollte.«
    »Und du wusstest von nichts? Du hast nicht gesehen, wie sie gepackt hat? Oder sich am Bahnhof eine Fahrkarte gekauft hat?«
    »Sie ist mit dem Bus gefahren.«
    »Das ist doch egal. Hat sie keinen Brief hinterlassen?« »Nichts. Auf dem Tisch lag nur der Wohnungsschlüssel.« Joel war es, als liefe er im Kreis herum. Jetzt musste er stehen bleiben und in die Mitte springen. Wo die wichtigen Fragen waren.
    »Habt ihr euch gestritten?« »Nein.«
    Noch ein Sprung, Joel, noch weiter in die Mitte.
»Warst du betrunken?«
    Die Antwort ließ auf sich warten. Aber sie kam. »Ich war nicht betrunken. Zu der Zeit hab ich nicht getrunken. Nicht, wenn sie dabei war. Niemals. Und wenn sie geblieben wäre, hätte ich auch nicht damit angefangen.« Jetzt war Joel genau in der Mitte. Weiter konnte er nicht kommen.
    »Eine Mutter haut doch nicht ab. Das tun Väter. Mütter nicht. Irgendwas muss passiert sein.«
    Samuel richtete sich auf, so heftig, dass Joel zusammenzuckte. Er glaubte, er hätte etwas gesagt, das Samuel wütend machte. Aber die Augen, die ihn anschauten, waren nicht wütend. Es waren Samuels gewöhnliche Augen. Müde und vielleicht auch ein wenig traurig.
    »Meinst du nicht, dass ich mich das auch gefragt habe?«, sagte er. »Fast fünfzehn Jahre lang hab ich darüber nachgedacht. Jeden Tag. Warum sie weggegangen ist. Ich weiß nur eins, darauf muss sie selbst antworten. Und darum sind wir hier. Ich will es wissen. Ein für alle Mal. Warum hat sie ihren Koffer genommen und uns verlassen.«
    »Vielleicht will sie uns das gar
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