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Jhereg

Jhereg

Titel: Jhereg
Autoren: Steven Brust
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laut, und ich wollte mich gerade umdrehen, als irgend etwas gegen meinen Stuhl krachte. Ich geriet einen Moment lang in Panik, weil ich beinahe das Ei an der Tischkante zerquetscht hätte, aber ich hatte noch rechtzeitig aufstehen können. Aus der Panik wurde Wut, und ohne nachzudenken schnappte ich mir den Stuhl und zerschmetterte ihn auf dem Kopf des Typen, der auf mich gefallen war. Er ging sofort zu Boden und blieb reglos dort liegen. Der andere, der ihn gestoßen hatte, glotzte mich an, als wüßte er nicht, ob er mir danken oder auch auf mich losgehen sollte. In meiner Hand hatte ich immer noch ein Stuhlbein. Ich erhob es und wartete, was er tun würde. Da griff eine Hand nach meiner Schulter, und ich verspürte ein bekanntes Gefühl der Kälte in meinem Nacken.
    »Wir können hier keinen Ärger brauchen, Freundchen«, sagte eine Stimme hinter meinem rechten Ohr. Mein Adrenalinpegel war immens, und es fehlte nicht viel, dann hätte ich dem Bastard die Visage poliert, egal, ob er ein Messer an meinen Hals hielt oder nicht. Aber meine Übungen hatten sich ausgezahlt, und ich hörte mich gleichgültig sagen: »Verzeihung, guter Herr. Seid versichert, daß so etwas nicht wieder vorkommt.« Dann ließ ich den rechten Arm sinken und das Stuhlbein fallen. Wenn er nicht gesehen hatte, was vorgefallen war, dann war jeder Erklärungsversuch zwecklos – und wenn er es gesehen hatte erst recht. Gibt es irgendwo Schwierigkeiten, und einer aus dem Ostreich ist daran beteiligt, ist völlig klar, wer die Schuld trägt. Ich rührte mich nicht.
    Das Messer wurde weggenommen.
    »So ist es«, sagte die Stimme. »Es wird nicht wieder vorkommen. Verschwinde hier, und komm ja nicht wieder.«
    Ich nickte kurz. Mein Geld ließ ich am Tisch zurück, dann ging ich, ohne mich umzuschauen, hinaus.
    Auf dem Weg nach Hause beruhigte ich mich ein wenig. Der Zwischenfall belastete mich. Ich fand, ich hätte den Typen überhaupt nicht schlagen dürfen. Furcht hatte meine Handlungen bestimmt, und ich hatte unüberlegt reagiert. So ging das einfach nicht.
    Als ich die Treppen zu meinem Appartement hinaufstieg, drehten sich meine Gedanken einmal mehr um die Frage, was ich zukünftig tun sollte. Ich hatte Münzen im Wert von gut einem Goldimperial auf dem Tisch liegenlassen, das war die Miete für eine halbe Woche. Anscheinend konnte ich nur zwei Dinge gut: Hexerei und Dragaeraner zusammenschlagen. Ich konnte mir kaum vorstellen, daß für derlei Talente eine Nachfrage bestand.
    Ich schloß auf und legte mich auf die Bank. Um mich ein bißchen zu beruhigen, holte ich das Ei hervor. Ich wollte es nur so halten, da fiel mir etwas auf. Ein kleiner Riß in der Schale. Das mußte beim Sturz gegen die Tischkante passiert sein, obwohl ich gedacht hatte, daß es ganz geblieben war.
    In jenem Augenblick, mit sechzehn Jahren, verstand ich, was Zorn bedeutet. Weißes Feuer schoß mir durch die Adern, als ich an das Gesicht des Dragaeraners dachte, der den anderen gegen mich gestoßen und damit mein Ei getötet hatte. Ich begriff, daß ich fähig war zu töten. Ich nahm mir vor, den Mistkerl ausfindig zu machen, und ich wollte ihn umbringen. Für mich gab es keine Frage, der Typ war ein toter Mann. Ich stand auf und ging zur Tür, das Ei noch immer in der Hand –
    – Und wieder fiel mir etwas auf.
    Irgendwas stimmte hier nicht. Ein bestimmtes Gefühl, das ich nicht genau benennen konnte, durchdrang die Mauer meines Zorns. Was war das? Ich sah mir das Ei noch einmal an, und plötzlich, mit schlagartiger Erleichterung, verstand ich.
    Auf irgendeine Weise hatte ich unbewußt eine psionische Verbindung zu dem Wesen im Ei hergestellt. Ich konnte etwas spüren, bis zu einem gewissen Grad, und das bedeutete, mein Jhereg war noch am Leben.
    Der Zorn verschwand so schnell, wie er über mich gekommen war, und ließ mich zitternd zurück. Ich ging wieder ins Zimmer und legte das Ei so sachte ich konnte auf den Boden.
    Aus der Verbindung konnte ich das Gefühl erkennen, das aus dem Inneren gesandt wurde: Entschlossenheit. Bloßer, blinder Wille. Nie zuvor hatte ich eine so unbedingte Zielstrebigkeit erfahren. Beeindruckend, wie etwas so Kleines ein solch starkes Gefühl erzeugen konnte.
    Ich machte ein paar Schritte rückwärts, ich glaube aus dem irrationalen Wunsch heraus, ihm Luft zum Atmen zu geben, und sah zu. Ein ganz schwaches Klopfen war zu hören, und der Spalt vergrößerte sich. Dann brach das Ei unvermittelt auf, und das häßliche kleine Reptil lag
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