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Jhereg

Jhereg

Titel: Jhereg
Autoren: Steven Brust
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inmitten zerbrochener Eierschalen. Es hatte die Augen geschlossen, und die Flügel waren noch an den Körper gepreßt. Sie waren vielleicht so groß wie mein Daumen.
    Es – Es ? Er, wußte ich plötzlich. Er versuchte, sich zu bewegen; es ging nicht. Versuchte es erneut, wieder ohne Ergebnis. Ich fand, ich sollte etwas tun, aber ich hatte keine Ahnung, was. Seine Augen waren jetzt offen, aber es schien, als könnte er noch nichts richtig wahrnehmen. Sein Kopf bewegte sich auf dem Boden – mitleiderregend.
    Über die Verbindung zu ihm spürte ich seine Verwirrung und ein bißchen Angst. Ich versuchte, ihm Wärme, Geborgenheit und all die guten Dinge zu übermitteln. Langsam ging ich auf ihn zu und streckte die Hand nach ihm aus.
    Zu meiner Verblüffung muß er die Bewegung gesehen haben. Augenscheinlich hatte er sie jedoch nicht mit den Gedanken von mir in Zusammenhang gebracht, denn ich verspürte einen Ausbruch von Panik, und er versuchte zurückzuweichen. Das gelang ihm aber nicht, und ich hob ihn behutsam auf. Dafür bekam ich zwei Dinge: meine erste deutliche Nachricht von ihm und meinen ersten Jheregbiß. Der Biß war zu geringfügig und das Gift noch zu schwach, um Auswirkungen auf mich zu haben, aber ich stellte fest, daß er über ordentliche Reißzähne verfügte. Die Nachricht war erstaunlich klar.
    »Mama?« lautete sie.
    Aha. Mama. Ich überlegte ein wenig und versuchte dann, ihm eine Nachricht zurückzuschicken.
    »Nein, Daddy«, korrigierte ich.
    »Mama«, bestätigte er.
    Er hörte auf zu zappeln und schien sich an meine Hand zu gewöhnen. Mir fiel auf, daß er erschöpft war, und ich auch. Außerdem hatten wir beide Hunger. Da traf es mich plötzlich – Womit zum Henker sollte ich ihn füttern? Die ganze Zeit über, die ich ihn herumgetragen hatte, war mir klar gewesen, daß er irgendwann ausschlüpfen würde, aber daß da wirklich mal ein richtiger, lebendiger Jhereg herauskommen würde, hatte ich mir nie so recht klargemacht.
    Ich trug ihn in die Küche und stöberte herum. Mal sehen … Milch. Ein guter Anfang.
    Ich fand eine Schale und goß ihm etwas Milch ein. Dann stellte ich sie auf die Anrichte und setzte den Jhereg daneben, der gleich mit dem Kopf in die Schale fiel.
    Er schleckte ein bißchen auf, was ihm offenbar keine Probleme bereitete, also suchte ich noch etwas weiter und stieß schließlich auf einen Hawkflügel. Den legte ich auch in die Schale, und er sah ihn sofort, riß ein Stückchen ab (die Zähne waren schon stark – sehr gut) und fing an zu kauen. Er kaute gut drei Minuten, bevor er das Stück runterschluckte, aber das ganze ging ohne Schwierigkeiten. Das beruhigte mich.
    Danach war er eher müde als hungrig, also nahm ich ihn mit rüber auf die Bank. Ich legte mich hin und setzte ihn mir auf den Bauch. Kurz darauf war ich eingenickt. Wir hatten beide angenehme Träume.
     
     
    Am nächsten Tag, am frühen Abend, klopfte jemand an meine Tür. Als ich aufmachte, erkannte ich den Typen sofort. Es war der von gestern, der das Spiel geleitet und mir gesagt hatte, ich solle nicht wiederkommen – wobei er mir das Messer in den Nacken gehalten hatte, sozusagen um seinen Worten Nachdruck zu verleihen.
    Ich bin ein neugieriger Zeitgenosse, also bat ich ihn herein.
    »Danke«, sagte er. »Man nennt mich Nielar.«
    »Setzt Euch doch, Mylord. Ich bin Vlad Taltos. Wein?«
    »Danke, nein. Ich glaube nicht, daß ich lange bleiben werde.«
    »Wie Ihr wünscht.«
    Ich bot ihm einen Stuhl an und setzte mich auf die Bank. Meinen Jhereg nahm ich auf den Schoß. Nielar zog die Augenbrauen hoch, sagte aber nichts.
    »Was kann ich denn für Euch tun?« wollte ich wissen.
    »Mir ist zugetragen worden, daß ich unter Umständen falsch lag, als ich Euch wegen der gestrigen Vorfälle beschuldigte.«
    Wie bitte? Ein Dragaeraner entschuldigt sich bei einem aus dem Ostreich? Ich fragte mich, ob das Ende der Welt nah war. Etwas Derartiges war zumindest meiner Erfahrung nach noch nie vorgekommen. Ich meine, ich war ein Mensch von gerade mal sechzehn Jahren, und er war Dragaeraner, wahrscheinlich an die tausend Jahre alt.
    »Das ist sehr freundlich von Euch«, brachte ich heraus.
    Er wischte diese Bemerkung fort. »Ich möchte außerdem hinzufügen, daß es mir gefallen hat, wie Ihr Euch beherrscht habt.«
    Ach ja? Mir nicht. Was war denn hier eigentlich los?
    »Worauf ich hinauswill ist folgendes«, fuhr er fort. »Ich könnte jemanden wie Euch gebrauchen, falls Ihr Euch vorstellen könnt, für mich zu
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