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Jetzt tu ich erstmal nichts - und dann warte ich ab

Jetzt tu ich erstmal nichts - und dann warte ich ab

Titel: Jetzt tu ich erstmal nichts - und dann warte ich ab
Autoren: Malte Leyhausen
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war mein Tank fast leer. Keine Tankstelle weit und breit. Zum Glück fuhr ich damals so ein Öko-Auto,
das man im Notfall auch mit Pflanzenöl betreiben kann. Ich fuhr bei der nächsten Ausfahrt raus und fand zufällig einen Supermarkt, der schon um 7.00 Uhr
öffnete. Die Leute auf dem Parkplatz staunten nicht schlecht, als ich nach dem Einkauf ein paar Flaschen »Salatglück« in den Lupo kippte.
    Dann mit Vollgas in die Schule. Um 7.45 Uhr stürmte ich an den PC im Lehrerzimmer. Auf der Fahrt war mir ein ganz knackiger Stundenverlauf
eingefallen, den man auf die Schnelle schreiben und ausdrucken konnte. Kaum sitze ich am Bildschirm,tippt mir mein Ausbilder auf die
Schulter: »Ich hoffe, dieses Mal ist alles in Ordnung.«
    Mit perfektem Pokerface sagte ich: »Keine Sorge, muss nur noch schnell eine Sicherheitskopie ausdrucken.«
    In Wirklichkeit war das Dokument noch gar nicht geschrieben … Aber das Beste war dann die Lehrprobe: Vor versammelter Mannschaft kroch mir ganz
langsam eine Socke aus dem linken Hosenbein. Die musste wohl am Abend vorher beim Ausziehen dort stecken geblieben sein …
    Also, das ist ja noch gar nichts, unterbricht ihn der Zweite, wegen mir wurde schon einmal eine Boeing 707 auf dem Rollfeld gestoppt. Das war zu
einer Zeit, als es auf Deutschlands Flughäfen etwas unbürokratischer zuging. Dabei war ich schon, kurz nachdem der Check-In-Schalter geschlossen hatte,
auf dem Flughafen-Gelände. Allerdings im falschen Terminal. Ich sage nur: Frankfurt. Ich nahm die Beine in die Hand und hechtete in die
Schwebebahn. Genau der richtige Zeitpunkt, um einen Blick auf meinen Reisepass zu werfen. Abgelaufen. Von der Schwebebahn direkt zum Zoll. Ich schnappte
mir den Beamten: »Waren Sie bei den Pfadfindern? Mein Flieger hebt gleich ab. Tun Sie mir einen Gefallen und verrichten Sie Ihre gute Tat heute für
einen fleißigen Geschäftsmann, dem die deutsche Wirtschaft schon viel zu verdanken hat …«
    Was soll ich euch sagen? Nach kurzem Hin und Her war das mit dem Pass geritzt. Jetzt musste ich nur noch die Mädels von der Airline bezirzen. Ich
behauptete einfach, mein Koffer sei schon in der Maschine. Es hätte länger gedauert, das Gepäck wieder auszuladen, als auf der Rollbahn für mich auf die
Bremse zu treten …
    Kaum im Vogel angekommen, lernte ich einen total interessanten Mann kennen, bei dem ich später ein Entschleunigungs-Seminar gebucht habe. Und was
soll ich euch sagen? Auch da war ich der Schnellste …
    Also, das ist ja noch gar nichts, überschlägt sich der Dritte, ich ging fast vollkommen unvorbereitet in die mündliche
Abiturprüfung »Religion«. In letzter Sekunde lernte ich über Gott und die Welt eine Handvoll Bibelzitate auswendig. Am Ende der Prüfung sagte der
Pfarrer bewundernd: »Der Sören kennt die Bibel wirklich aus dem Effeff …«
     
    Vielleicht denken Sie jetzt, ich könnte das nicht. Aber es kann ja noch werden. Aufschieber sind mit der Gabe gesegnet, sich unbedarft
     in Situationen zu begeben, in die sich andere nur nach gründlicher Vorbereitung trauen. Manche vertragen besonders viel Stress und lieben den
     Nervenkitzel, der sich schon beim Verschieben der Vorarbeiten einstellt. Das Spiel mit dem Feuer gibt den Kick. Das Risiko wird als schaurigschön
     empfunden wie eine Achterbahnfahrt. Meistens kommen sie damit auch irgendwie durch. Und wenn nicht: Für den Spaß haben sich die paar Schrammen allemal
     gelohnt.
    Der Aufschiebe-Experte Hans-Werner Rückert trennt zwischen Kick- und Angst-Aufschiebern. Ich möchte diesen beiden Kategorien noch die Mischform
     hinzufügen. Den Kick- und Angst-Aufschieber. Beim Prokrastinieren erleben manche sowohl Horror als auch Faszination.
    Sollte es wirklich brenzlig werden, beherrscht der Aufschieber die hohe Kunst der Umdeutung. Aus Niederlagen werden Siege. Und aus Stress eine kühn
     kalkulierte Quelle der Inspiration.
    Als ein Pfarrer von einem Radiosender gefragt wurde, mit welcher Strategie er in der arbeitsreichen Weihnachtszeit seine acht Predigten schreiben
     würde, erklärte der Kirchenmann:
    »In dem Begriff Heilige Nacht steckt das Wort Nacht. Ich kann mich nachts am besten konzentrieren. Dann fällt die Hektik des Tages von mir ab. Gerade
     weil die Predigten erst so zeitnah fertig werden, sind sie besonders aktuell. Wiekönnte ich die momentane Stimmung kurz vor dem
     Gottesdienst sonst so authentisch wiedergeben?«
    Woher nimmt der Aufschieber die Nerven? Wie schafft er es bloß, nach außen sein
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