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Jetzt tanzen alle Puppen - Aus dem Alltag einer Comedy-Fachfrau

Jetzt tanzen alle Puppen - Aus dem Alltag einer Comedy-Fachfrau

Titel: Jetzt tanzen alle Puppen - Aus dem Alltag einer Comedy-Fachfrau
Autoren: Andrea Volk
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schimpfte, dann auf die Versicherungsgesellschaft, anschließend über die Werft, die die Ruderanlage falsch montiert hatte, und mit einem Schlenker über Kommunisten und die Weltwirtschaftslage wieder zu den Holländern zurückkehrt e – RESPEKT. Onkel Otto unter seiner Kapitänsmütze war der Inbegriff des kleinen Mannes, dem schreiendes Unrecht widerfährt. Im Hintergrund sah man den Bug der MS Ursula aus dem Rhein ragen, dessen Wasser sich rundherum gift-gelb färbte. Die MS Ursula kam auf den Schiffsfriedhof und Onkel Otto an Land. Gleich zwei schlechte Nachrichten. Die wenigsten Schiffer kennen sich aus mit den Regeln des friedlichen Miteinanders. An Bord sind sie Alleinherrscher, König der Wasserstraßen. An Land leben sie in einer Mietswohnung mit Frau und Sohn (Martin, Rufname Otto). In der Ehe begann es prompt zu kriseln, bislang hatte man sich nur wenige Wochen im Jahr gesehen und nun das. Tante Anita hatte auf ein Mal eine Menge Termine außer Haus. Onkel Otto wurde es langweilig, die Zahlung der Versicherungsgesellschaft ließ auf sich warten, ergo kein neues Boot in Sicht. Also begann er, sich in seinem Zuhause umzutun. Am Briefkasten im Hausflur stieß er auf die Hausverwalterin Frau Schorn, die, leicht verwirrt, aber bis dato harmlos, zwei Stockwerke unter Familie Otto lebte. Frau Schorn angelte soeben mit einem umgebogenen Draht Briefe aus Ottos Briefkasten. Onkel Otto lächelte blauäugig, hier war die Aufgabe, auf die er gewartet hatte. Ein Schiffer ist immer ein handwerkliches Multitalent, so kann er kleinere Reparaturen selbst ausführen und spart zeit-und kostenintensive Werftzeiten. Onkel Otto sicherte also seinen Briefkasten inwendig mit einem batteriebetriebenen Elektrodraht. Frau Schorn hatte ganz offenbar einen kleinen Knall, mit Elektroschocks, argumentierte Onkel Otto am Abendbrottisch, konnte man zugleich die Sicherheit der Familienpost und Frau Schorns geistige Gesundheit wieder herstellen. Früher hatten die in der Psychiatrie schließlich auch mit Elektroschocks gearbeitet, war ja nicht alles schlecht. Frau Schorn holte sich in den nächsten Tagen ein paar Schocks ab, die Post war fortan sicher und Frau Schorn wirkte insgesamt wacher. Onkel Otto, König ohne Schiff und von Langeweile geplagt, beschloss, Frau Schorn weiter zu beobachten und nötigenfalls zu therapieren. Er versteckte sich im Treppenhaus und stellte fest, dass Frau Schorn stets Keller-und Hoftür abschloss und bei jedem Vorbeigehen an den Klinken rüttelte. Onkel Otto diagnostizierte Paranoia. Als selbst ernannter Therapeut besorgte sich Onkel Otto einen Nachschlüssel für die Kellertür, versteckte sich dahinter und wartete, bis Frau Schorn an der vermeintlich abgeschlossenen Tür rüttelte. Dann riss er die Tür abrupt auf, wünschte »Morgen!« und versetzte Frau Schorn damit in einen ebenso heilsamen wie amüsanten Schreikrampf. Es galt, beschloss Onkel Otto, Frau Schorn an die Realität im Leben zu gewöhnen. Und die Realität war, dass er jetzt im Haus lebte. Frau Schorn fühlte sich offensichtlich bedroht und ließ fortan durchgehend das Licht im Hof brennen. Trotzreaktionen in dieser Phase der Paranoia-Therapie darf man nicht durchgehen lassen. Also schraubte Onkel Otto die Birne im Hof raus. Frau Schorn ließ eine geschlossene Lampe einbauen und sicherte diese zusätzlich mit einem Vorhängeschloss. Onkel Otto unterbrach sein Abendbrot, nahm einen Zahnstocher, schraubte im Keller den Schalter vom Hoflicht auf und verklemmte den Unterbrecher mit dem Zahnstocher, an dem noch ein bisschen Schnitzel klebte. Damit war das Hoflicht Geschichte.
    Frau Schorn begann, Onkel Otto als ihren Feind zu betrachten, und sann auf Rache. Am nächsten Morgen stellte sie ein Radio in die unbewohnte Wohnung unter Onkel Ottos Zuhause. Sie stellte einen Jazzmusiksender ein und drehte die Lautstärke bis zum Anschlag auf. Zufrieden verließ sie die Wohnung und schloss die Tür doppelt ab. Zwei Tage lang dudelte es Tag und Nacht schräge Jazz-Rhythmen. Onkel Otto blieb souverän, öffnete seine Tür einen Spalt und wartete, bis er endlich wieder Frau Schorn auf der Treppe schleichen hörte. Von Deckung zu Deckung huschend (nur die Kapitänsmütze lugte über das Geländer) näherte sich Onkel Otto der nun offenen Tür der leeren Wohnung, in der sich Frau Schorn gerade mit einer Punkrock-Musik-Kassette ihres Enkels in der Hand über den Radiorecorder beugte. Pech für Frau Schorn: Sie hatte den Wohnungsschlüssel außen stecken
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