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Jetzt! - die Kunst des perfekten Timings

Jetzt! - die Kunst des perfekten Timings

Titel: Jetzt! - die Kunst des perfekten Timings
Autoren: Campus
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zeitverarmten Beschreibung erkläre, verwende ich als Beispiel einen Kuss. Ich sage den Studenten, dass ein Kuss, der den Bruchteil einer Sekunde dauert, ein Küsschen ist; ein Kuss, der eine Minute dauert, ist ein eindeutiger Antrag; und ein Kuss, der länger als fünf Minuten dauert, ist ein Wiederbelebungsversuch. Kurz, wir müssen wissen, wie lange ein Kuss dauert, um zu wissen, was er bedeutet. Ebenso ist eine Umarmung, die weniger intensiv ist, aber länger dauert, keine Umarmung mehr, sondern ein Festhalten, das vielleicht den Zweck hat, Zwang auszuüben. Zeit ist also kein Behältnis unserer Handlungen, sondern einer ihrer Bestandteile. Alles, was in der Welt geschieht, passiert in einer bestimmten Reihenfolge, erfordert eine gewisse Zeit, beginnt und endet in einem spezifischen Moment und so weiter. Wenn diese Merkmale unbenannt bleiben, können wir leicht übersehen oder missverstehen, was vorgeht.
    Mir geht es um Folgendes: Eine Gleichung lässt sich nicht nach »t« auflösen, wenn sie nicht »T« enthält . Man kann Ereignisse nicht zeitlichabstimmen und entscheiden, wann es zu handeln gilt oder was das Tun eines anderen bedeutet, wenn die Totalität ( T ) zeitrelevanter Merkmale (Abfolge, Tempo, Dauer, Anfang, Ende usw.), von denen das Timing abhängt, in der eigenen Weltsicht gar nicht vorkommt. Solange Sie nicht auf diese zeitlichen Merkmale achten und sie bemerken, verfügen Sie nicht über die erforderlichen Informationen, die Sie für gute Timingentscheidungen brauchen.
    Es gibt viele Gründe, warum unsere Beschreibungen und Erklärungen der Welt tendenziell zeitverarmt sind. Erstens zählt, wie Immobilienmakler uns gern erklären, vor allem der Standort. Unser eigener Standort in der Zeit lässt sich mit einem Wort beschreiben: jetzt . Wir leben jetzt, in unserer unmittelbaren, konkreten Realität. Wir können weder in der Vergangenheit leben, es sei denn metaphorisch, noch in der Zukunft, es sei denn in unserer Fantasie. Man sagt uns zwar immer, wir sollten die Lehren der Geschichte nicht vergessen und langfristig denken, aber wir werden immer im gegenwärtigen Moment verhaftet sein. Jetzt ist der einzige Ort in der Zeit, an dem wir wahrhaft lebendig sind.
    Eine weitere Quelle unserer Kurzsichtigkeit ist ironischerweise unser Sehvermögen. Wir konzentrieren uns auf das, was wir sehen können. Folglich vergessen wir, die Zeit, die unsichtbar ist, in Betracht zu ziehen. Ein Beispiel ist die Anatomie der menschlichen Hand. Unsere Daumen sind opponierbar – sie können also den vier übrigen Fingern gegenüber stehen. Das ermöglicht es uns, Gegenstände zu greifen und festzuhalten, was die Hand überaus nützlich macht. Aber in jeder Schilderung des opponierbaren Daumens, die ich gelesen habe, fehlt die Notwendigkeit der Synchronisation. Der Daumen und die Finger müssen gleichzeitig am selben Punkt eintreffen. Müsste der Daumen minutenlang auf das Eintreffen der anderen Finger warten oder umgekehrt, würde uns vieles aus den Fingern gleiten. Die menschliche Hand könnte nicht als das hervorragende Werkzeug funktionieren, das sie ist. Eine räumliche Anordnung wird gewürdigt, aber die Arbeit erledigt das Timing!
    Wir fokussieren uns tendenziell gerne auf das, was wir sehen; darüber hinaus ist aber auch das Leistungsvermögen unseres Gehirns mit dafür verantwortlich, dass uns die nötigen Informationen für Timingentscheidungen entgehen.
    Ein schlichtes Denkexperiment veranschaulicht, was ich meine. Stellen Sie sich vor, einen Schlüssel ins Schloss Ihrer Haustür zu stecken. Haben Sie das Bild deutlich vor Augen? Gut. Nun machen Sie sich klar, was Sie ausgelassen haben. Sie haben sämtliche Schritte auf dem Weg von dem Ort, an dem Sie dieses Buch lesen, bis zu Ihrer Haustür übersprungen. Dabei hat Ihr Gehirn Sie nicht daran erinnert, dass diese Schritte ausgelassen wurden – dass Sie beispielsweise ein Gebäude verlassen und mit dem Auto durch dichten Verkehr fahren müssten, um dort hinzukommen. Es haben keine Alarmsirenen geschrillt. Vor Ihrem geistigen Auge ist auch kein detaillierter Film im Zeitraffer abgelaufen, der alle diese Schritte enthalten hätte. Sie haben sich einfach vorgestellt, den Schlüssel ins Schloss zu stecken. Die Neurowissenschaften bezeichnen dieses Phänomen als Zeitreise. Ich nenne es die Quantum- oder Q-Kapazität des Gehirns. Wir können nicht nur ganz einfach über die ferne Vergangenheit oder Zukunft nachdenken – wir können es auch tun, ohne uns den
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