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Jetzt! - die Kunst des perfekten Timings

Jetzt! - die Kunst des perfekten Timings

Titel: Jetzt! - die Kunst des perfekten Timings
Autoren: Campus
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auch sein mögen: Es lässt sich daraus nichts gewinnen, was gar nicht darin angelegt ist.
    Wenn wir alle Intervalle, Rhythmen, Sequenzen und so weiter mit einbeziehen, die mit Ereignissen in der realen Welt verbunden sind, können wir nicht nur besser vorhersagen, was passieren könnte, sondern auch wann. Der Arabische Frühling liefert ein Beispiel, wie eine »zeitreiche« Beschreibung aussehen könnte. Dieser Frühling, der nun schon so lange zurückzuliegen scheint, begann, wie viele sich wohl noch erinnern, als ein Straßenhändler in Tunesien von der Polizei gedemütigt wurde und sich selbst verbrannte. Sein Tod löste Proteste aus, die Tunesiens Präsidenten zum Rücktritt zwangen. An diesem Punkt drängte sich allen die Frage auf: Was würde als Nächstes passieren? Würden die Proteste auf Ägypten übergreifen? Niemand wusste es. Um zu sehen, welchen Einfluss das Timing hatte, nehmen wir die Chronologie unter die Lupe:
Herbst 2010: In Ägypten finden Parlamentswahlen statt. Weithin herrscht die Überzeugung, dass es dabei zu Wahlbetrug kommt.
17. Dezember: Ein tunesischer Straßenhändler, Mohamed Bouazizi, zündet sich an; am 18. Dezember gibt es in seiner Heimatstadt Proteste.
4. Januar 2011: Bouazizi stirbt im Krankenhaus kurz nach einem Besuch des tunesischen Präsidenten, der als zu wenig und zu spät eingestuft wird. Aus Empörung über Bouazizis Tod und die hohe und weiter steigende Arbeitslosigkeit brechen gewaltsame Proteste aus.
14. Januar: Proteste zwingen den tunesischen Präsidenten Ben Ali zum Rücktritt.
25. Januar: In Ägypten beginnen seit Monaten geplante Demonstrationen gegen die Brutalität der Polizei und eskalieren rasant.
11. Februar: Der ägyptische Präsident Mubarak ist gezwungen zurückzutreten.
    Um herauszuarbeiten, inwieweit das Timing der Ereignisse zu Mubaraks Rücktritt beitrug, stellen wir uns einmal einen anderen zeitlichen Verlauf vor. Angenommen, die Ereignisse in Tunesien wären fünf Monate später eingetreten, als es der Fall war. Das hätte zwei Folgen gehabt. Erstens hätte es sie zeitlich von den ägyptischen Wahlen im Herbst abgerückt. Wut kann sich leichter aufbauen, wenn die auslösenden Ereignisse dicht beieinander liegen. Zweitens hätten sie erst nach dem 25. Januar stattgefunden, dem Datum, an dem Demonstrationen gegen Polizeibrutalität geplant waren. Damit hätten die Demonstranten am 25. Januar sich Tunesien nicht zum Vorbild nehmen können, weil die Ereignisse in Tunesien noch gar nicht stattgefunden hätten.
    Gehen wir als Nächstes von einer unveränderten Chronologie aus, nehmen aber an, dass es keinen festen Termin für Proteste gegen Polizeibrutalität gegeben hätte. Nach den Ereignissen in Tunesien hätten sich die Spannungen in Ägypten vielleicht verschärft, aber es hätte keinen geplanten Auslösezeitpunkt gegeben. Proteste brechen leichter aus, wenn es einen einzelnen definierten Zeitpunkt gibt, an dem sie sich konzentrieren können. (Druck = Kraft/Fläche, für alle, die sich noch an ihre Schulphysik erinnern).
    Nehmen wir als Letztes an, dass die Proteste in Tunesien einen anderen Verlauf genommen hätten. Statt rasant zu eskalieren und sofort zum Sturz Präsident Ben Alis zu führen, hätten sie sich langsam gesteigert , und es hätte Monate statt Wochen gedauert, ihn zum Rücktritt zu zwingen. Physikalische Ursachen werden in der Regel als stärker wahrgenommen, wenn sie unmittelbare Auswirkungen haben. Das Gleiche gilt für menschliches Handeln. Menschen erleben ein Gefühl der Effektivität, wenn sie ein schwieriges Ziel schnell erreichen. Was die Ereignisse in Tunesien zu einem eindrucksvollen, nachahmungswürdigen Vorbild machte, war nicht nur das Ergebnis, das die tunesischen Demonstranten erreicht hatten, sondern auch die Geschwindigkeit , mit der sie es erreicht hatten.
    Bei einem anderen Timing der Ereignisse könnte Mubarak also noch an der Macht sein. Wissen können wir es natürlich nicht. Es hätte dennoch sein können, dass Demonstrationen ihn aus dem Amt gezwungen hätten. Aber wenn wir diese zeitlichen Elemente, die zeitliche Gestaltung der Proteste, einbeziehen – wie schnell sie ausbrachen und eskalierten, den Zeitpunkt der geplanten Proteste gegen die Polizei, ihre Position im Verhältnis zu anderen Ereignissen und so weiter –, verstehen wir erheblich besser, was wann passierte. Wenn wir sie in unser Denken einbeziehen und in Echtzeit beobachten, werden wir besser darauf vorbereitet sein, was die Zukunft bereithält.
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