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Jette

Jette

Titel: Jette
Autoren: Frieda Lamberti
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die Augen und atmet schwer durch die Nase aus. Ich spüre, wie er sich quält. Nach einem Moment, der mir wie die Ewigkeit vorkommt, spricht er das aus, womit ich im Leben nie gerechnet hätte.
   »Es waren gesundheitliche Probleme, die mich vor zwei Jahren zum Aufhören zwangen. Ich hatte Krebs. Und so wie es aussieht, bin ich ihn nicht losgeworden.«

Warum?

»Ist es sicher oder nur eine Ahnung?«
   »Seit letzter Woche ist es Gewissheit. Ich habe es schon im Urlaub gespürt und mich sofort danach untersuchen lassen. Neue Tumore. Diesmal in Magen und Darm.«
   »Wer weiß davon?«
   »Nur du und Muriel, meine Exfrau. Und so soll es bleiben. Schaffst du es, deinen Freundinnen vorerst nicht davon zu erzählen?«
   »Du hältst mich für eine Plaudertasche?«
   »Ich halte dich für den wichtigsten Menschen in meinem Leben. Wirst du mir zur Seite stehen?«
   »Ja, Liebling. So dicht, dass du dir noch wünschen wirst, dass ich endlich auf Abstand gehe.«

Ich gebe vor, zum Bäcker zu fahren, um fürs Frühstück einzukaufen. In meinem Wagen spielt das Radio so laut, dass die Lautsprecher dröhnen. Aber mein Schreien ist noch viel lauter als die Musik. Ich glaube, ich verliere den Verstand. Warum? Bitte nicht lieber Gott. Nicht Mirko!

Selbstverständlich werde ich im Büro der Hochschule anrufen und Bescheid geben, dass ich ein Semester schiebe. Und sollte es nicht möglich sein, dann ist es auch egal. Es gibt jetzt Wichtigeres als meinen blöden Master. Mirkos bevorstehende Operation und anschließende Chemotherapie. Dazwischen wollen wir heiraten. So haben wir es heute geplant.

Keine Uni. Keine Treffen mit meinen Freundinnen. Es zählt nur noch mein zukünftiger Ehemann. Ich habe Malte einen Brief geschrieben und ihn darüber informiert, dass ich meinen Vertrag als Hauptmieterin fristgerecht gekündigt habe. Sollte er die Wohnung ganz übernehmen wollen, soll er sich mit dem Vermieter in Verbindung setzen. Ich bereite Mirkos Geburtstagfeier vor. Seine Exfrau und die Kinder haben ihr Kommen zugesagt. »Es könnte schließlich sein letzter Geburtstag sein«, sagt Muriel am Telefon. Ich bin fassungslos über ihren Kommentar, aber Mirko meint, dass sie den Tatsachen einfach nur ins Auge sieht. Ich weigere mich, seine Krankheit so schwarz zu sehen und zwinge mich, Tag täglich mit neu gefasstem Mut an einen positiven Ausgang zu denken.

Die OP hat er gut überstanden und darf nach zwei Wochen das Krankenhaus wieder verlassen. Mirko hat rapide abgenommen und ich verspreche, ihn schnell wieder aufzupäppeln.
   »Besser ich päppele dich erst mal auf. Du siehst furchtbar aus.«
   »Sie sollten dir nur die Tumore entfernen, nicht deinen Charme.«
Ich mache gute Miene zum bösen Spiel, denn ich weiß, was die Ursache für meine Blässe ist. Seit Tagen schlafe ich nicht mehr. Den Grund kann ich in drei einfachen Worten benennen. Ich bin schwanger. Und ich weiß nicht von wem!

Am Donnerstagabend im Loft platzt es aus mir heraus. Ich muss es meinen Freundinnen erzählen, oder ich laufe Gefahr, zu ersticken.
   »Sprich mit ihm. Und zwar noch vor der Hochzeit«, ist der Rat von Jette. Franka bittet mich inständig, keine Dummheiten zu machen.
   »Du wirst dich keinem Abbruch unterziehen. Bist du denn vollkommen verrückt? Denk mal daran, wie alt wir sind. Es könnte deine letzte Chance auf ein eigenes Baby sein.«
   »Ich kann ihn unmöglich heiraten und ihm das Kind eines anderen Mannes unterjubeln.«
   »Und was spricht dagegen, ihm reinen Wein einzuschenken? Du hattest keine Affäre mit Malte. Es war ein One-Night-Stand, an den du null Erinnerung hast.«
Ja, mit dieser Erklärung wird sich mein an Krebs erkrankter Zukünftiger bestimmt zufrieden geben.
   »Dann wartet doch mit der Hochzeit. Wer drängt euch?«
   »Diverse Karzinome in Mirkos Magen und Darm.«
So, nun ist es raus. Ich habe mein Versprechen gebrochen. Ja, ich bin eine Plaudertasche. Eine völlig entrückte und verzweifelte, schwangere und verstörte Frau, die im vollen Bewusstsein heiraten wird, schon bald wieder Witwe zu sein. Ich heule mir die Augen aus dem Kopf und warte auf Frankas und Tines Trost. Aber auch ihnen hat es die Sprache verschlagen. Franka steht auf und geht aufgeregt auf und ab. Das macht sie immer, wenn sie sich eine Strategie überlegt. Ständig zwirbelt sie mit ihren Fingern durch ihren langen Pferdeschwanz.
   »Es gibt nur eine Möglichkeit. Du wirst ihm sagen, dass
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