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Jesus von Texas

Jesus von Texas

Titel: Jesus von Texas
Autoren: DBC Pierre
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Straße stehen die Leute vor ihren Fliegengittertüren und sind total am Ende. Moms sogenannte Freundin Leona war letzte Woche schon mal total am Ende, als Penney's die Küchenvorhänge in der falschen Farbe lieferte. Typisch für sie, daß sie's nicht abwarten konnte.
    »Herr im Himmel, Vernie, o mein Gott - die ganzen winzigen Kreuze ...« Palmyras Hand legt sich auf meine Schulter, und auf einmal bin ich am Schluchzen und Sabbern.
    Das Bild von Jesus, das beim Sheriff hinter der Tür hängt, wurde am Tatort aufgenommen. Aus einer anderen Perspektive als meiner, als ich ihn zum letzten Mal sah. Die Körper sind nicht mit drauf - all die verzerrten, unschuldigen Gesichter. Ganz anders auf dem Bild in meiner Seele. Der Dienstag bricht sich in meinem Inneren Bahn wie eine verfluchte Blutung.
    »I clean my gun, and dream of Galves-ton ...«
    Jesus Navarro kam mit sechs Fingern an jeder Hand auf die Welt, und das war noch nicht mal das Absonderlichste an ihm. Es war aber das, was ihn schließlich zur Strecke brachte. Er hatte nicht damit gerechnet, daß er am Dienstag sterben würde; als sie ihn fanden, trug er Seidenhöschen. Jetzt liegt ein Hauptaugenmerk der Ermittlungen auf Mädchenunterwäsche - daraus soll jemand schlau werden. Sein alter Herr meint, die Cops haben sie ihm untergeschoben. »Höschenkommando! Keine falsche Bewegung!« oder wie? Ich glaub kaum.
    In meinem Kopf wimmelt es von Erinnerungen an jenen Morgen. Ich weiß noch, was ich ihm zugebrüllt hab: »Heeey -suuuß, nicht so schnell, verdammt!«
    Es ist der letzte Dienstag vor den Ferien; Wind von vorne bedrückt uns auf dem Weg zur Schule und lastet schwer auf unseren Rädern fast so schwer wie dieser Tag. Physik, dann Mathe, dann noch mal Physik, irgendein bescheuertes Experiment im Labor. Die verfluchte Hölle auf Erden.
    Jesus' Pferdeschwanz tanzt durch die Strahlen der Sonne; es sieht aus, als ob sich mein alter Kumpel im Takt mit den Baumkronen über uns wiegt. Er verändert sich, wird hübscher - auf so eine indianische Art. Die Stümpfe seiner Extrafinger sind so gut wie unsichtbar. Er ist aber immer noch wahnsinnig tollpatschig, und sein Verstand ist es auch. Die Gewißheiten unserer alten Kinderlogik sind davongespült worden; zurückgeblieben sind Kiesel der Wut und des Zweifels, die bei jeder neuen Welle von Gefühlen aneinanderklappern. Mein Kumpel, der einst der beste David-Letterman-Imitator war, den ihr euch vorstellen könnt, ist von Drüsenflüssigkeiten entführt worden. Ich glaub, sein Gehirn dampft aufsässige Lieder und Geruchshormone aus - solche, die gerinnen, sobald deine Mom eine Ahnung davon kriegt. Aber irgendwie hat man das Gefühl, das sind keine normalen Hormone. Er verheimlicht Dinge vor mir, das hat er früher nie gemacht. Er ist seltsam geworden, und keiner weiß, warum.
    Ich hab mal eine Sendung über Jugendliche gesehen, in der sie gesagt haben, daß Vorbilder der Schlüssel zur Entwicklung sind, genau wie bei Hunden. Wer auch immer die Sendung gemacht hat, er hat nie Jesus' Dad kennengelernt. Oder meinen. Obwohl meiner besser war als Mr. Navarro, bis auf die letzte Zeit zumindest, obwohl ich immer sauer war, daß er mich nicht an sein Gewehr gelassen hat; Mr. Navarro hat Jesus seines benutzen lassen. Heute verfluche ich den Tag, an dem ich auch nur 'nen Blick auf die Knarre meines Vaters geworfen hab, und ich schätze mal, Jesus geht's genauso. Er hat ein anderes Vorbild gebraucht, aber es gab niemanden, der für ihn da war. Mr. Nuckles, unser Lehrer, hat ständig Zeit mit ihm verbracht, nach der Schule, aber ich bin mir nicht sicher, ob die alte Puderquaste mit ihrem Zirkus hübscher Wörter wirklich zählt. Ich meine, der Typ ist über Dreißig und setzt sich zum Pinkeln hin, das merkt man doch sofort. Er hat 'ne Menge Zeit mit Jesus verbracht, bei sich zu Hause oder unterwegs im Auto, und er redete immer ganz leise, mit gesenktem Kopf, genau wie diese einfühlsamen Leute im Fernsehen. Einmal hab ich gesehen, wie sie sich umarmten, wahrscheinlich wie Brüder oder so, keine Ahnung - muß man echt nicht vertiefen, das Thema. Der Punkt ist, daß Nuckles schließlich einen Psychiater vorschlug. Und von da an ging's bergab mit Jesus.
    Lothar »Fettsack« Larbey fährt im Pick-up-Truck seines alten Herrn an uns vorbei und streckt meinem Kumpel die Zunge raus. »Tacoschwuchtel!« schreit er.
    Jesus senkt nur den Kopf. Manchmal schmerzt es mich, wie er rumläuft, mit seinen geschusterten Jordan New Jacks aus zweiter
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