Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jesus Von Nazareth - Und Die Anfaenge Des Christentums - Ein SPIEGEL-Buch

Jesus Von Nazareth - Und Die Anfaenge Des Christentums - Ein SPIEGEL-Buch

Titel: Jesus Von Nazareth - Und Die Anfaenge Des Christentums - Ein SPIEGEL-Buch
Autoren: Dietmar Pieper , Annette Großbongardt
Vom Netzwerk:
Einwohnerzahl die 5000 nicht überschritten haben dürfte. Auch in anderen Dörfern Galiläas, das belegen die Grabungen der Archäologen, lebten gewöhnlich nicht mehr Menschen.
    Soziologisch betrachtet war dieses Galiläa deutlich anders strukturiert als das südlichere Judäa. In Judäa lebten die Gelehrten und Priester, in Galiläa die Arbeiter und Bauern. Galiläa war reiches, Judäa karges Land. Galiläa besaß fruchtbare Böden, vor allem um den See Genezareth herum, der so tief liegt, dass man sich dort noch heute weit unterhalb des Meeresspiegels befindet. In den galiläischen Breiten, berichtet der antike Geschichtsschreiber Josephus Flavius, wuchsen Palmen, Feigen-, Nuss- und Ölbäume, und zehn Monate des Jahres gab es Weintrauben. Das Land ist geprägt von Basaltsteinhügeln und auslaufenden Schluchten; Klima und Landschaft sind mediterran, die Temperaturen im November mild, und wo der obere Jordan in den See Genezareth mündet, ist es heute genauso unbesiedelt, naturbelassen und vogelverzwitschert, wie es um 28 gewesen sein könnte, weil sich hier seit zweitausend Jahren kaum etwas verändert haben dürfte. Einer der zahlreichen, leicht ansteigenden Hügel am nordwestlichen Ufer, der einen Panoramablick über Kapernaum und den See erlaubt, ist der legendäre »Berg der Seligpreisungen«, auf dem Jesus vor dem Volk aus dem jüdischen Land und von jenseits des Jordans, wie das Matthäusevangelium berichtet, mit dem großen Satz »Selig sind, die da geistlich arm sind, denn ihrer ist das Himmelreich« die Bergpredigt begonnen haben soll.
    In Kapernaum stand eine große Synagoge und 30 Meter davon entfernt das Haus des Fischers Simon. Gesichert ist, dass es ein Gemeinschaftshaus war, in dem die Familie des Simon wohnte, mit zwei oder drei Innenhöfen und besteigbaren Lehmdächern, man könnte sagen: eine Art Wohngemeinschaft. Wenn Jesus in Kapernaum wohnte, dann in diesem Haus. Heute sind die freigelegten Ruinen der Synagoge und des Simonhauses Wallfahrtsziele von Pilgern aus der ganzen Welt. Dass die Fischer gerade hier, am nördlichen Rand des Sees Genezareth, siedelten und arbeiteten, ist wenig überraschend: Im See lebte der kälteempfindliche Buntbarsch, der sogenannte Petrus-Fisch, und in der Bucht zwischen Kapernaum und Tabgha flossen einige, teils 26 Grad warme Quellen in den See ein, weswegen dort vor allem im Herbst und Winter große Buntbarschmengen zu leichter Beute wurden. Arm waren Kapernaums Fischer also keineswegs, was auch an Herodes Antipas lag.
    Ohne den Tetrarchen von Galiläa, der einen der vier (griechisch »tetra«) Bereiche des alten herodianischen Herrschaftsgebiets Palästina regierte, kann man die Geschichte Jesu nicht verstehen. Antipas’ Politik prägte die sozioökonomischen Strukturen Galiläas; er sorgte für großen wirtschaftlichen Aufschwung und politische Stabilität, verursachte aber auch soziale Ungerechtigkeiten und Verelendung. Beide Entwicklungen hatten Einfluss auf Jesu Leben und jene Anhängerschaft, die sich um seine Person formierte und die man später »Jesusbewegung« nennen würde.
    Dass um das Jahr 28 sozialer Frieden im Land herrschte und das gesellschaftliche Klima gut war, lag vornehmlich in der Klugheit und Cleverness des Herrschers von Galiläa begründet, der ein äußerst geschickter Konfliktvermeider gewesen sein soll. Anders als sein älterer Bruder Archelaos im ständig kriselnden Judäa verstand es Antipas, durch Ehrbezeugungen dem römischen Kaiserhaus gegenüber hohe Loyalität zum Ausdruck zu bringen. Etwa im Jahr 19 gründete er am Ufer des Sees Genezareth nach hellenistischem und römischem Vorbild eine neue Stadt mit Palast, Marktplatz und Theater, ließ Stadion und Hippodrom bauen, erkor die Stadt zu seinem Amtssitz und benannte sie nach dem neuen Kaiser, der fünf Jahre zuvor in Rom den Thron bestiegen hatte: Tiberias. Taktisches Antichambrieren war für jeden Klientelfürsten in fernab gelegenen Provinzen überlebenswichtig, um sich bei all den angezettelten Intrigen, der allseitigen Missgunst und den gestreuten Denunziationen im Amt halten zu können.
    Andererseits, und das zeichnete Antipas offenbar gegenüber seinen Brüdern aus, respektierte er die jüdische Prägung Galiläas, achtete weitgehend die religiösen Rituale und Praktiken der ländlichen Bevölkerung. Damit schuf er eine wichtige Voraussetzung für die Entfaltung der Persönlichkeit Jesu. Das heißt: Er hielt am Monotheismus fest und verzichtete auf heidnische Tempel. Es
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher