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Jesus von Nazaret

Jesus von Nazaret

Titel: Jesus von Nazaret
Autoren: Alois Prinz
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(Apg 9,2) nannten, eine Welt zusammen. Für viele unter ihnen war es eine bittere Tatsache, dass sie sich in Jesus getäuscht hatten und die ganze Bewegung um ihn erbärmlich gescheitert war. Jahrelang waren sie einem Mann gefolgt, von dem sie sich so viel erwartet hatten. Einige hatten gehofft, dass Jesus den entscheidenden Aufstand gegen die Römer anführen werde. Andere hatten erwartet, dass mit Jesus das ersehnte Gottesreich anbrechen werde und sie darin bevorzugte Plätze einnehmen würden. Nichts davon war eingetroffen. Stattdessen war ihr Meister am Kreuz gestorben wie ein x-beliebiger Verbrecher.
    Die Frauen und Männer, die dem Mann aus Nazaret gefolgt waren, zerstreuten sich in alle Winde und damit schien diese kleine jüdische Sekte ausgelöscht und vergessen zu sein. Aber schon nach kurzer Zeit tauchten die Jesus-Leute wieder auf und behaupteten, ihr Meister sei nicht tot, sondern von den Toten auferstanden. Die Nachrichtvom Zimmermannssohn aus Galiläa, der in Wahrheit Gottes Sohn war, der die väterliche Liebe Gottes zu den Menschen verkündete und selber lebte, der hingerichtet wurde und wieder auferstanden war, verbreitete sich nun unaufhaltsam. Entscheidend trug dazu ein Mann namens Paulus bei, der nur wenig jünger war als Jesus. Er, der sich vom fanatischen Verfolger der Jesus-Leute zum Apostel gewandelt hatte, verhinderte, dass die Lehre des Nazareners eine rein jüdische Angelegenheit blieb. Er brachte die »frohe Botschaft« auch zu den Heiden. Überall in Kleinasien und sogar in Griechenland und in Rom entstanden Gemeinden der Christen, wie sie jetzt genannt wurden.
    Zunächst wurden die Erinnerungen an Jesus mündlich weitergegeben. Doch dann begann man in den Gemeinden, diese Geschichten zu sammeln und sie aufzuschreiben. Die Verfasser dieser Berichte hatten von Anfang an mit einem Problem zu kämpfen. Wie sollten sie über jemanden schreiben, dessen »Reich nicht von dieser Welt« war, wie es im Johannesevangelium heißt, und der doch auch ein Mensch war aus Fleisch und Blut, der aß und schlief, der Hunger und Durst kannte, der lachte und weinte, der Schmerzen erlitt und eines gewaltsamen Todes starb.
    In der frühen Kirche wurde heftig darüber gestritten, wie man diese zwei Seiten des Jesus von Nazaret, seine göttliche und seine menschliche, verstehen und wieman sie beschreiben kann. War Jesus nun zur Hälfte ein Mensch und zur anderen Hälfte ein Gott? Oder war er nur ein bisschen Mensch und hauptsächlich Gott? Oder war er nur scheinbar ein Mensch? Oder war er nicht wirklich Gott, sondern nur Gott ähnlich?
    Auf einem Konzil in der kleinasiatischen Stadt Chalkedon wollte man im fünften Jahrhundert diesen Spekulationen ein für alle Mal ein Ende bereiten, indem man festlegte, dass Jesus »wahrer Mensch und wahrer Gott« gewesen sei. Er war demnach also beides – und beides ganz. Das ist schwer zu verstehen. Es ist ein Paradox.
    Â»Wahrer Mensch und wahrer Gott« – diese Formel ist weniger eine Lösung als eine Aufgabe. Denn wie kann man das Leben eines Menschen erzählen, der ein Mensch und zugleich Gott war, und beides ganz? Einige Wissenschaftler und Autoren haben in erster Linie die menschliche Seite des Nazareners betont und sahen ihn als einen Religionsstifter, als großen Lehrer, als einen genialen Psychologen oder einen politischen Rebellen. Bei anderen wiederum überwiegen die göttlichen Eigenschaften Jesu, und das führt oft so weit, dass er zu einer abgehobenen Gestalt wurde, die über der menschlichen Welt schwebt und kaum noch mit den Füßen die Erde berührt. Wie kann man ein zu einseitiges Bild von Jesus vermeiden? Wie schafft man es, ihn zu sehen als »wahrer Mensch« und »wahrer Gott«?
    Auch seine Zeitgenossen hatten offenbar ihre Schwierigkeitenmit Jesus. Selbst seine engsten Freunde sind manchmal schier verzweifelt an ihm, weil er einfach nicht die Vorstellungen erfüllte, die sie sich von ihm machten. Denn er trat ganz anders auf, als man es sich von einem religiösen Führer oder einem Volkshelden erwartete. Er lebte arm und anspruchslos. Er gab sich mit Leuten ab, die in den Augen rechtgläubiger Juden gebrandmarkte Außenseiter und Sünder waren. Er bekleidete kein hohes Amt, verdiente kein Geld und genoss kein Ansehen wie die Tempelpriester in Jerusalem. Er war wehrlos und ließ es geschehen, dass man ihn verfolgte und
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