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Jesus von Nazaret

Jesus von Nazaret

Titel: Jesus von Nazaret
Autoren: Alois Prinz
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schließlich tötete. Als er am Kreuz hing, zeigte es sich am deutlichsten, dass die meisten seiner Freunde ein falsches Bild von ihm hatten.
    Schon vorher, als sie noch gemeinsam durch Galiläa gezogen waren, hat Jesus seine Begleiter immer wieder ermahnt, sich nicht über ihn zu ärgern. (Lk 7,23; Mk 14,27) Denn ärgerlich war es für seine Gefährten, dass Jesus sich oft so ganz anders benahm, als sie es erwarteten und erhofften. Seine Jünger hätten es gern gehabt, dass Jesus ihnen eindeutige Zeichen und Antworten gibt, um Klarheit darüber zu haben, wer er war und was er wollte. Jesus ging auf solche Forderungen nicht ein. Er wollte seinen Jüngern und Begleitern nicht die Zweifel, die Ungewissheiten nehmen. Denn ihm nachzufolgen, das sollte ein Wagnis sein und bleiben.
    Dieses Wagnis, sich auf ihn einzulassen, gehört wesentlichzu dem, was Jesus Glauben nannte. Und dieses Wagnis bleibt auch uns Heutigen nicht erspart. Darum ist es gefährlich, sich über Jesus allzu sicher zu sein. Ein allzu selbstgewisses Wissen über Jesus nimmt uns jedes Risiko. Es ist eine Abkürzung zu Gott, die uns eher von ihm wegführt. Und selbst zweitausend Jahre Christentum, Generationen von Theologen, Berge von gelehrten Abhandlungen, unzählige Lehren der Kirche, Zeugnisse von Heiligen und Menschen, die ihm nachgefolgt sind – all das gibt uns keine Gewissheit über Jesus von Nazaret, die wir einfach nur zu übernehmen bräuchten. Um ihm nahezukommen und sein Geheimnis zu verstehen, müssen wir zu allen Zeiten mit ihm gleichzeitig werden. Das heißt, wir müssen ihn sehen und gleichsam mit ihm leben wie seine Zeitgenossen und Begleiter – mit denselben Zweifeln, mit derselben offenen Frage, wie die Sache wohl ausgeht.
    Jesus selbst hat zu seinen Lebzeiten immer wieder Hinweise gegeben, wie man ihn sehen, wie man zu ihm stehen soll. In den Schriften des Evangelisten Lukas ist auch Johannes der Täufer unsicher darüber, mit wem er es zu tun hat. (Lk 7,18-23) Als Johannes im Gefängnis sitzt, lässt er über Freunde an Jesus die Frage richten, wer er sei. Jesus antwortet Johannes nicht, indem er etwa sagt: »Ich bin der Sohn Gottes«, oder »Ich bin der Messias«. Er teilt Johannes auch nicht seine Botschaft mit. Er sagt ihm nur, was er getan hat, dass er Kranke geheilt und Armegetröstet hat. Diese Auskunft soll Johannes genügen, um zu verstehen, wer Jesus ist.
    Unsere Situation heute ist nicht anders als die von Johannes. Auch wir können erfahren, was Jesus gesagt und getan hat, und wir müssen diese Worte und Taten richtig auslegen und deuten, um zu wissen, wer Jesus war. Das heißt aber auch, dass das Leben des Jesus von Nazaret nicht abtrennbar ist von seiner Lehre. Auch das unterscheidet ihn von anderen großen Gestalten der Weltgeschichte. Die Lehren eines Aristoteles kann man verstehen, ohne dass man wissen muss, wie und zu welcher Zeit dieser griechische Gelehrte gelebt hat. Man braucht auch nichts über den Menschen Karl Marx zu wissen und kann trotzdem den Marxismus studieren. Und wer klug genug ist, kann sich mit der Relativitätstheorie beschäftigen, auch wenn er noch nie etwas von Albert Einstein gehört hat.
    In all diesen Fällen ist die Lehre ablösbar vom jeweiligen Erfinder oder Entdecker. Bei Jesus ist das nicht möglich. Er hat nicht nur eine Botschaft verbreitet, sondern er hat seine Botschaft gelebt. Seine Lehre und sein Leben sind eins. »Die Person Jesu ist seine Lehre und seine Lehre ist er selbst«, so drückte es Joseph Ratzinger aus. 2 Insofern ist auch das Christentum keine Lehre, es ist eine »Existenz-Mitteilung« 3 , und das einzige Vorbild für diese Mitteilung ist das Leben des Jesus von Nazaret. Er, der sich »Menschensohn« nannte, hat vorgelebt, wieein Dasein im absoluten Vertrauen auf die göttliche Liebe aussehen kann. Dieses Leben bleibt für alle Zeiten das Vorbild für alle, die dem »Menschensohn« nachfolgen wollen. Nachfolge bedeutet mithin, die innere Freiheit zu gewinnen, wie Jesus sie besaß, und die Mitmenschlichkeit zu praktizieren, wie er sie geübt hat.
    Auch für das Christentum ist das Leben Jesu die Grundlage und die einzige Orientierung. Nach Karl Jaspers, der Jesus zu den »maßgebenden Menschen« zählt, geht von ihm auch heute noch eine große »Lebendigkeit« aus, die für Jaspers ihren Grund in seiner
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