Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jessica

Jessica

Titel: Jessica
Autoren: Linda Lael Miller
Vom Netzwerk:
das Alma vor langer Zeit einmal gewesen sein musste. Und Alma war es auch, die Mr. Calloway liebenswürdig zur Tür brachte.
    Sein Abschied war hörbar, denn seine Absätze knirschten laut auf dem Weg vor dem Haus.
    Als Alma sich wieder zu Jessica umwandte, war ihr Gesicht gerötet, und ihre sonst so sanften Augen funkelten vor Ärger. »Was hat dich nur bewogen, zu einem so netten Mann wie Gage Calloway dermaßen unhöflich zu sein?«, fauchte sie wütend, sodass Jessica sie verblüfft ansah.
    Sie ignorierte Almas Frage, weil ihr keine Antwort darauf einfiel, und kehrte zu ihrem Posten am Fenster zurück, von dem aus sie die Straße übersehen konnte.
    Als sie Mr. Calloway mit großen, wütenden Schritten davongehen sah, lächelte sie. Wie gut, dachte sie, dass sie ihre Reaktionen diesem verwirrenden Mann nicht erklären musste, wo sie sie ja selber nicht einmal verstand.
    Es dämmerte schon, und von Westen her zogen dicke Wolken auf, die noch mehr Schnee versprachen. Rasch eilte Jessica nach hinten, um ihren dicken Mantel zu holen.
    »Du willst ausgehen?«, fragte Alma überrascht.
    »Ich bin gleich zurück«, versprach Jessica und eilte zur Tür. Die Holztreppe war steil und glatt, und vorsichtig tastete Jessica sich hinunter. Wenn sie jetzt ausrutschte und sich verletzte, müssten sie und die Babys verhungern.
    Ohne nach rechts oder links zu sehen, um von niemandem ins Gespräch verwickelt zu werden, bog Jessica um die Ecke des bescheidenen Zeitungsgebäudes und ging zum Friedhof, der auf der anderen Straßenseitelag.
    Das Tor bereitete ihr einige Mühe, weil der Riegel festgefroren war, aber nach einer Weile schaffte sie es doch, ihn zurückzuschieben. Der Schnee lag hoch und schwer, und Jessica musste sich gegen das Tor stemmen, um es öffnen zu können.
    Kurz hob sie den Blick, um die Kirche zu betrachten. Sie war klein und gedrungen, mit weißer Fassade und einem eigenen Glockenturm sowie kleinen Fenstern. Die Doppeltüren waren gegen die Kälte fest verschlossen - nicht dass sie jetzt das Verlangen verspürt hätte, einen Fuß dort hineinzusetzen. Sie und Gott begegneten einander mit Höflichkeit, aber mehr nicht. Michaels Tod war nur dazu angetan, die Kluft für sie noch weiter zu vergrößern.
    Jessica zog den Mantel enger um sich und stapfte über den kleinen Friedhof, bis sie das Grab an der Seite erreichte. Es lag unter hohen Walnussbäumen, die jetzt statt Blättern feine Eiszapfen trugen.
    Als Jessica Michaels Grab erreicht hatte, waren ihre Knie nass. Hier lag der Schnee nicht so tief, sondern bedeckte nur dünn die frisch aufgeworfenen Erde. Aus der Nähe wirkte das einfache Holzkreuz noch verlorener als vom Fenster aus.
    Jessica zwang die aufsteigenden Tränen zurück und holte ein paarmal tief Luft. Einerseits hätte sie am liebsten voller Wut gegen den Erdhügel getreten, andererseits drängte es sie danach, sich schluchzend auf das Grab zu werfen. Aber beides kam nicht infrage.
    »Da bin ich«, sagte sie stattdessen und schniefte. Ihre Nase wurde rot - sie konnte es spüren - und ihre Augen waren verquollen. Tatsächlich fühlte sich ihr ganzes Gesicht verschwollen an. »Ich bin hier, Michael, und ich werde mich um die Babys kümmern und um die Zeitung, das verspreche ich dir. Irgendwie werden wir es schon schaffen.«
    Natürlich bekam sie keine Antwort, es fiel nur noch mehr Schnee aus dem grauen Himmel, und der Wind blies kalt durch ihre Kleider. Plötzlich fühlte Jessica sich so verlassen, als ob sie der einzige Mensch auf der Welt wäre, der verloren herumirrte.
    »Du kannst dich auf mich verlassen«, schwor sie flüsternd. Sie berührte einmal das Kreuz, in das Michaels Name geschnitten war, ehe sie sich umwandte, um zurückzugehen.

2
     
    »Lass dem Mädchen ein bisschen Zeit«, riet J unebug McCaffrey, als sie den Ti sch in der Postkutschenstation für eines ihrer legendären »einfachen« Abendessen deckte. In ihren blauen Augen stand so etwas wie zärtliche Belustigung; zumindest kam Gage es so vor. »Sie ist neu in der Stadt und hat gerade einen nahen Angehörigen verloren. Außerdem sind die Babys das Einzige, was ihr noch von ihrer Familie geblieben ist, und es ist ganz natürlich, dass sie sie selber großziehen will. Die armen kleinen Dinger. Wahrlich würde ich wenig von ihr halten, wenn sie den Kindern ihres Bruders den Rücken zuwenden würde.«
    Gage, der es als Junggeselle gewohnt war, selber gut zu kochen, zog dennoch ein Essen von Junebug vor, zumal er gerne vor dem Kamin
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher