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Jerusalem: Die Biographie (German Edition)

Jerusalem: Die Biographie (German Edition)

Titel: Jerusalem: Die Biographie (German Edition)
Autoren: Simon Sebag Montefiore
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Jerusalems einzunehmen. Schließlich fielen auch diese Viertel unter dem Ansturm der Römer und ihrer syrischen und griechischen Hilfstruppen. »Mit gezücktem Schwert strömten sie nun in die Gassen, stießen jeden nieder, der ihnen in den Weg kam, und verbrannten die Häuser, in welche sich Juden geflüchtet hatten, samt allem, was darin war«. Als das Gemetzel am Abend vorüber war, griff das Feuer immer weiter um sich.
    Titus verhandelte mit den beiden jüdischen Kriegsherren über die Brücke hinweg, die das Tal zwischen Tempel und Stadt überspannte, und bot an, ihnen das Leben zu schenken, wenn sie kapitulierten. Aber sie lehnten ab. Daraufhin befahl er, die Unterstadt zu plündern und niederzubrennen, in der praktisch jedes Haus voller Leichen war. Als die Jerusalemer Kriegsherren sich in den Herodes-Palast und die Zitadelle zurückzogen, baute Titus Wälle, um ihre Moral zu untergraben. Am 7. Elul, Mitte August, stürmten die Römer die Festungen. Die Aufständischen kämpften weiter in den Tunneln, bis einer ihrer Führer, Johannes von Gischala, sich ergab (er wurde begnadigt, sah aber einer lebenslangen Haft entgegen). Der andere Anführer, Simon ben Giora, kam in weißem Gewand aus einem Tunnel unter dem Tempel und sollte eine herausragende Rolle in Titus’ Triumphzug in Rom spielen.
    In dem anschließenden Wirrwarr und der systematischen Zerstörung ging eine Welt unter, die nur wenige Zeugnisse als Momentaufnahmen hinterließ. Die Römer metzelten Alte und Kranke nieder: Die skelettierte Hand einer Frau, die man auf der Schwelle ihres verbrannten Hauses fand, zeugt von Panik und Schrecken; die Asche der Villen im jüdischen Viertel erzählt von einem Inferno. In einer Werkstatt an der Straße, die unter der Freitreppe in den Tempel verlief, entdeckte man zweihundert Bronzemünzen, ein geheimer Vorrat, der vermutlich in den letzten Stunden vor dem Fall der Stadt versteckt wurde. Schon bald waren selbst die Römer das Gemetzel leid. Sie trieben die Jerusalemer in den Frauenvorhof des Tempels und sortierten sie: Kämpfer wurden getötet; kräftige Gefangene schickte man in die ägyptischen Bergwerke; junge, gutaussehende Gefangene wurden als Sklaven verkauft, zum Kampf gegen Löwen in den Zirkus geschickt oder beim Triumphzug zur Schau gestellt.
    Josephus fand unter den armen Gefangenen im Tempelvorhof seinen Bruder und fünfzig Freunde, die er mit Titus’ Erlaubnis befreite. Seine Eltern waren vermutlich gestorben. Unter den Gekreuzigten fand er drei seiner Freunde. »Mit tiefem Schmerz und unter Tränen begab ich mich zu Titus und erzählte es ihm.« Er ließ sie abnehmen und ärztlich versorgen. Aber nur einer überlebte.
    Titus beschloss wie Nebukadnezar, Jerusalem dem Erdboden gleichzumachen, eine Entscheidung, die Josephus den Rebellen anlastete: »wie der Bürgerkrieg der Stadt, so machten die Römer dem Bürgerkrieg ein Ende«. Den Tempel, das imposanteste Monument Herodes’ des Großen, zu schleifen, muss eine technische Herausforderung dargestellt haben. Die gigantischen Steinquader des Königsportals krachten auf das neue Pflaster und wurden dort 2000 Jahre später unter dem Schutt von Jahrhunderten als riesiger Haufen so gefunden, wie sie heruntergefallen waren. Die Trümmer warf man neben dem Tempel ins Tal, wo sie die heute kaum noch erkennbare Schlucht zwischen Tempelberg und Oberstadt füllten. Aber die Stützmauern des Tempelbergs blieben erhalten, einschließlich der heutigen Westmauer. Überall in Jerusalem sind die Spolien, die herabgefallenen Steine von Herodes’ Tempel und Stadt, zu finden, die sämtliche Eroberer und Erbauer der Stadt von den Römern bis zu den Arabern, von den Kreuzfahrern bis zu den Osmanen noch über tausend Jahre später mehrfach wiederverwendeten.
    Niemand weiß, wie viele Menschen in Jerusalem starben. Die Zahlenangaben antiker Geschichtsschreiber sind immer gewagt. Laut Tacitus befanden sich in der belagerten Stadt 600 000 Menschen, laut Josephus über eine Million. Ganz gleich, welche Zahl den Tatsachen entspricht, sie war jedenfalls sehr hoch, und alle diese Menschen verhungerten, wurden getötet oder in die Sklaverei verkauft.
    Titus machte sich auf eine makabre Siegestour. Er war zu Gast bei seiner Mätresse Berenike und ihrem Bruder, König Herodes Agrippa II., in ihrer Residenz in Caesarea Philippi in den heutigen Golanhöhen. Dort schaute er zu, wie Tausende jüdischer Gefangener bis auf den Tod miteinander oder mit wilden Tieren kämpften. Einige
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