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Jerusalem: Die Biographie (German Edition)

Jerusalem: Die Biographie (German Edition)

Titel: Jerusalem: Die Biographie (German Edition)
Autoren: Simon Sebag Montefiore
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rebellischen Juden, der zu den Römern übergelaufen war und die einzige Quelle dieser Schilderung des Krieges ist. Der König war Herodes Agrippa II., ein überaus römischer Jude, der am Hof des Kaisers Claudius aufgewachsen war. Er war Oberaufseher des jüdischen Tempels, den sein Urgroßvater, Herodes der Große, erbaut hatte, und wohnte oft in seinem Palast in Jerusalem, obwohl er über verschiedene Gebiete im Norden des heutigen Israel, Syrien und Libanon regierte.
    Nahezu mit Sicherheit begleitete den König seine Schwester Berenike, die Tochter eines jüdischen Monarchen und durch Heirat zweifache Königin, die seit kurzem Titus’ Geliebte war. Ihre römischen Feinde beschimpften sie später als »jüdische Kleopatra«. Sie war um die vierzig Jahre alt, aber laut Tacitus in ihren besten Jahren und auf dem Höhepunkt ihrer Schönheit. Zu Beginn des Aufstandes hatten sie und ihr Bruder, mit dem sie gemeinsam (wie ihre Feinde behaupteten, in einer inzestuösen Beziehung) lebte, die Rebellen mit einem letzten Appell an die Vernunft niederzuringen versucht. Nun mussten diese drei Juden hilflos dem Todeskampf einer berühmten Stadt zuschauen – Berenike tat dies vom Bett ihres Zerstörers aus.
    Gefangene und Überläufer brachten Neuigkeiten aus der Stadt, die für Josephus besonders beunruhigend waren, weil seine Eltern in ihr festsaßen. Da selbst den Kämpfern allmählich die Nahrung ausging, durchsuchten sie Lebende und Tote nach Gold und Essen, selbst nach wenigen Krümeln, wankend und schwankend »wie tolle Hunde«. Sie aßen Kuhdung, Leder, Gürtel, Schuhe und altes Heu. Eine reiche Frau namens Maria, die schon ihr Geld und sämtliche Nahrungsvorräte verloren hatte, wurde so weit um den Verstand gebracht, dass sie ihren eigenen Sohn tötete, briet, zur Hälfte aß und den Rest für später aufhob. Der köstliche Bratenduft wehte durch die Stadt. Als die Rebellen ihn rochen, stöberten sie die Herkunft auf und stürmten in das Haus. Aber selbst diese abgebrühten Mörder schlichen sich zitternd davon, als sie den halb verzehrten Leichnam sahen. [5]
    Verfolgungswahn und Spionageangst herrschten in Jerusalem, der Heiligen – wie die jüdischen Münzen sie nannten. Phantasierende Scharlatane und predigende Oberpriester geisterten durch die Straßen und verhießen Erlösung. Jerusalem begann »wie ein tollwütiges Tier in Ermangelung der Nahrung von außen bereits gegen das eigene Fleisch zu wüten«, schrieb Josephus.

    Als Titus sich am Abend des 8. Ab zurückgezogen hatte, versuchten seine Legionäre auf seinen Befehl, das Feuer zu löschen, das sich durch das geschmolzene Silber ausgebreitet hatte. Aber die Rebellen griffen die Söldner an, die den Brand bekämpften. Die Römer schlugen zurück und drängten die Juden bis in das Tempelhaus. Ein Legionär nahm »wie auf höheren Antrieb« ein brennendes Stück Holz, ließ sich von einem Kameraden hochheben und setzte Vorhänge und Rahmen an einem »goldenen Fenster« in Brand, das in die inneren Tempelhallen führte. Bis zum Morgen breitete sich das Feuer bis in das Herz des Heiligtums aus. Als die Juden sahen, dass die Flammen das Allerheiligste zu zerstören drohten, rannten sie schreiend hin, »um dem Feuer zu wehren«. Aber es war zu spät. Sie verbarrikadierten sich im Innenhof und schauten in entsetztem Schweigen zu.
    Nicht weit entfernt wachte Titus in den Ruinen der Burg Antonia auf, sprang auf und lief zum »Tempel hin, um dem Brande Einhalt zu tun«. Ihm folgten seine Entourage mit Josephus und vermutlich auch König Agrippa und Berenike, sowie »die durch den Wirrwarr erschreckten Legionen«. Es kam zu erbitterten Kämpfen. Josephus behauptet, Titus habe erneut befohlen, das Feuer zu löschen, als römischer Kollaborateur hatte er jedoch allen Grund, seinen Schutzherrn zu entlasten. Es herrschte Geschrei, das Feuer toste, und den römischen Soldaten war klar, dass eine Stadt, die so hartnäckig Widerstand geleistet hatte, nach den Gesetzen des Krieges damit rechnen musste, in Schutt und Asche gelegt zu werden.
    Sie taten, als hätten sie Titus nicht gehört, und riefen ihren Kameraden sogar zu, sie sollten noch mehr Brandfackeln werfen. Die Legionäre waren so ungestüm, dass viele im wilden Sturm ihres Blutrauschs und ihrer Goldgier zerquetscht wurden oder verbrannten; sie plünderten so viel, dass der Goldpreis bald im ganzen Osten fallen sollte. Da Titus das Feuer nicht eindämmen konnte und sicher auch über die Aussicht eines endgültigen
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