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Jenseits

Jenseits

Titel: Jenseits
Autoren: Meg Cabot
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den Nachhauseweg. Ich musste, bevor etwas Schreckliches geschah. Es schienen immer schreckliche Dinge zu geschehen, wenn ich wütend wurde. Dinge, für die ich gar nichts konnte, und es war besser, ich ging, bevor alles noch schlimmer wurde.
    Bevor er wieder auftauchte.
    Und jetzt saß ich abermals auf meinem Rad, nur dass ich diesmal einfach so vor mich hin radelte, ohne festes Ziel. Ich musste nur weg … von Oma. Von den Fragen. Vom Lärm des Partygeschnatters. Vom Plätschern des Wasserfalls am Pool. Ja, ganz besonders vom Pool.
    Im Gegensatz zu »dem Zwischenfall« letzten Herbst an meiner Schule war der Unfall meine Schuld gewesen. Ich bin gestolpert, über meinen Schal, habe mir den Kopf angeschlagen und bin dann in das tiefe Ende unseres Pools in Connecticut gefallen. Ich hatte einen verletzten Vogel retten wollen. Ja, noch einen. Und dieser Vogel hat überlebt, und das ohne die Hilfe des Fremden von dem Friedhof auf Isla Huesos.
    Leider hatte ich nicht so viel Glück.
    Das eisige Wasser des Swimmingpools lähmte mich vermutlich genauso stark wie der stumpfe Schlag auf meinen Kopf. Meine Winterklamotten saugten sich in null Komma nichts mit dem eiskalten Wasser voll und machten meine Arme und Beine so schwer, dass ich nicht einmal hundepaddeln konnte, geschweige denn schwimmen. Dad hatte vergessen, die Befestigung der Abdeckplane reparieren zu lassen, sie gab unter meinem Gewicht nach und wickelte sich sofort um mich, so erdrückend wie die Umarmung einer Python. Sowohl die Leiter als auch die Treppe waren zu weit weg, als dass ich sie mit meiner vollgesogenen Kleidung und dem Gewicht der Plane, das mich nach unten zog, hätte erreichen können. Und selbst wenn ich die Treppe erreicht hätte, bezweifle ich, dass ich mich hätte aus dem Wasser ziehen können. Trotzdem tat ich, was ich konnte. Es ist erstaunlich, was für Kräfte eine Fünfzehnjährige entwickeln kann, wenn sie ums Überleben kämpft, selbst wenn sie eine lebensgefährliche Schädelverletzung hat.
    Dad war zu diesem Zeitpunkt bei einer Telefonkonferenz in seinem Arbeitszimmer ganz am anderen Ende des Hauses. Er hatte vergessen, dass Mom gerade in die Bibliothek gefahren war, um an ihrer Dissertation über das Paarungsverhalten der Rosalöffler weiterzuschreiben, und dass ich eben nicht bei meiner besten Freundin Hannah war oder im Tierheim, wo ich ehrenamtlich arbeitete, und dass der Hausmeister heute seinen freien Tag hatte. Genauso wie er vergessen hatte, irgendjemandem gegenüber zu erwähnen, dass ein paar der Haken, die die Poolabdeckung an Ort und Stelle halten sollten, im Lauf des Winters durchgerostet waren.
    Nicht dass es einen großen Unterschied gemacht hätte, zumindest für mich, wenn Dad wenigstens eines dieser Dinge nicht versäumt hätte oder nicht gerade am Telefonieren gewesen wäre. Ich konnte ohnehin nicht um Hilfe schreien. Keine Chance. Wenn man ertrinkt, läuft das nicht so ab, wie Filme uns das immer vorgaukeln wollen. Als mein benommenes Gehirn registrierte, dass ich irgendwie in Schwierigkeiten steckte, zog das Gewicht des Wassers, das ich wegen des Kälteschocks reflexartig eingesogen hatte (es war Februar und das in Neuengland), mich bereits wie ein Stein auf den Grund des Pools.
    Nach der anfänglichen Panik und den Schmerzen war es da unten eigentlich recht friedlich. Das Einzige, was ich hörte, war mein eigener Herzschlag und das Geräusch der Luftblasen, die aus meinem Mund stiegen; und beide wurden immer leiser, trieben immer weiter von mir weg. Damals wusste ich noch nicht, dass das geschah, weil ich gerade starb.
    Das nachmittägliche Sonnenlicht drang durch den Blätterteppich, der sich auf dem Pool gesammelt hatte, und zeichnete um mich herum wunderschöne Muster auf den Boden des Beckens. Sie erinnerten mich an das Licht, das auf der Beerdigung meines Großvaters durch die bunten Kirchenfenster geschienen hatte. Ich durfte zwar nicht darüber sprechen, aber ich hatte diesen Tag nie vergessen, und auch nicht, wie herzzerreißend meine Mom und meine Oma während des Gottesdienstes geweint hatten …
    Was ich ebenfalls nicht vergessen hatte, war, wie fest meine Oma meine Hand gehalten hatte, als wir den Friedhof verließen, und wie hell das Rot der Flammenbaumblüten sich vom Blau des Himmels über unseren Köpfen abgehoben hatte.
    So rot wie die Fransen meines Schals, der vor meinen Augen sanft im Wasser auf und ab wogte, während ich sterbend auf dem Boden des Swimmingpools lag.
    Vielleicht war das der
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