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Jenseits der Untiefen

Jenseits der Untiefen

Titel: Jenseits der Untiefen
Autoren: Favel Parrett
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Abalone. Kreaturen, die sich zuweilen kilometerweit an überspülten Felsen entlangfraßen. Es gab Höhlen dort und Spalten, Stellen, an denen man stecken bleiben, Stellen, an denen der Luftschlauch sich verhaken konnte.
    Miles war nur einmal dort unten gewesen, aber das hatte gereicht. Die Dunkelheit und der Kelp, der sich um seine Beine schlang, hatten ihm Angst gemacht. Die Schwere in seiner Brust hatte ihm Angst gemacht. Und sein Kopf hatte wie verrückt gedröhnt von diesem Druck. Vom Gewicht des vielen Wassers.
    In einigen Jahren würde er wirklich dort hinabtauchen müssen.
    Dad kam dicht bei den Felsen an die Oberfläche, und Martin packte ihn. Er zog ihn aufs Boot. Und noch im Wasser hatte Dad sich das Mundstück weggerissen und einen Schrei ausgestoßen.
    »Gott!«, sagte er. »Allmächtiger!«
    Er sagte es unaufhörlich vor sich hin, als er aufs Boot kletterte. Er hatte zwei volle Netze mit heraufgebracht, und die Abalone waren riesig.
    »Noch ein paar solcher Tage! Ein paar solcher Tagen, und wir sind wieder dabei!«
    Er sah Miles an, und er lächelte.

H arry zog seinen Parka an und nahm die Überraschungstüte von Redskin, die er für Stuart gekauft hatte. Er durfte nicht allein das Haus verlassen, es sei denn, um Tante Jean zu besuchen, aber er dachte, wenn er Stuart besuchte, wäre das auch in Ordnung. Und Dad würde sowieso nichts davon erfahren.
    Harry ging in den Vorraum und zog seine Gummistiefel an. Sie waren eisig. Er überlegte, sich noch ein Paar Socken zu holen, aber er wollte sich nicht damit aufhalten. Wenn er schnell ginge, würden seine Füße warm werden.
    Und er würde schnell gehen.
    Das Licht draußen war stumpf und eintönig, dasselbe graue Licht wie immer. Manchmal brach mitten am Tag die Sonne durch und schien grell, aber sie wärmte nicht. Weder die Luft noch die Erde wurden jemals wirklich warm.
    Am Ende der Einfahrt bog Harry auf die Schotterstraße ein. Er lauschte, ob ein Auto kam. Ob ein Lastwagen kam. Er hielt nach Staubwolken in der Ferne Ausschau. Die Sicht war klar.
    Hinter seinem Haus kamen erst einmal keine weiteren Häuser. In Flussnähe sowieso nicht. Hier standen die Bäume sehr dicht, alles war schwarz vor Bäumen, bis man die Brücke überquert hatte und um die lange Kurve gebogen war. Dahinter, wo die Straße gerade wurde, gab es Buschwerk und rechteckige Rodungsflächen voller Unkraut. Ein paar alte Feuerschneisen. Ein paar alte Bauernhäuser. Nicht viel.
    Aber Stuart wohnte hier. Er lebte in einem Wohnwagen, an den ein Holzverschlag angebaut worden war und der eigentlich wie ein Haus aussah. Und weil der Wohnwagen schon so lange an einem Ort stand, war Harry nicht sicher, ob er überhaupt noch fahren konnte. Er stand dort, seit Stuart auf der Welt war, vielleicht noch länger, und er war so tief in die Erde eingesunken, dass die Räder fast verborgen waren.
    Der weiße Ford Cortina von Stuarts Mum stand nicht in der Einfahrt, aber Harry ging trotzdem zur Tür und klopfte.
    Niemand antwortete.
    Vielleicht waren sie weggefahren, um den Stand aufzubauen. Stuarts Mum pflanzte Beeren, Himbeeren und Brombeeren und verkaufte sie am Straßenrand kurz hinter Huonville. Normalerweise ließ sie einfach eine Geldkiste dort stehen, aber manchmal, am Wochenende oder in den Ferien, wenn die Leute aus Hobart vorbeikamen, blieb sie am Stand. Stuart hasste es, dort zu sein, aber wenigstens kam er auf diese Weise nach Huonville und konnte sich die Schaufenster ansehen. Das war immer noch besser, als hier herumzuhängen.
    Harry legte die Überraschungstüte neben die Tür. Er rollte sie zusammen, für den Fall, dass es regnen sollte, und ging. Aber diesmal ging er nicht schnell. Er ließ sich Zeit. Vielleicht kämen Stuart und seine Mum an ihm vorbei. Vielleicht waren sie gerade auf dem Rückweg.
    Als Harry die Brücke fast erreicht hatte, tauchte ein Lastwagen auf. Harry stellte sich in den Straßengraben und schloss fest die Augen vor Wind und Split, die ihm ins Gesicht schlugen. Und zwischen all dem Staub roch er den Baumsaft. Er konnte die frischgeschlagenen Bäume riechen – den Geruch von zermahlenen Blättern.
    Als er die Augen öffnete, war der Lastwagen in einem Nebel aus Rauch, Schotter und Staub verschwunden. Es würde jetzt eine Weile dauern, ehe wieder ein Lastwagen käme.
    Harry ging auf die Brücke und lehnte sich ans Geländer. Das schwarze Wasser des Lune River bewegte sich mit einer geräuschlosen Schnelligkeit, von der er Gänsehaut bekam. Er hob einen Stein auf
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