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Jenseits der Untiefen

Jenseits der Untiefen

Titel: Jenseits der Untiefen
Autoren: Favel Parrett
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großgewachsener Mann in Arbeitsmontur stand dicht hinter ihm.
    »Tut mir leid«, sagte Harry, und das Zicklein meckerte. Es hob den Kopf, um zu sehen, wohin sein Kratzbaum verschwunden war.
    »Schon in Ordnung, mein Junge«, sagte der Mann. Sein Gesicht war voller Lachfalten. Er bückte sich und hob die kleine Ziege hoch.
    »Hier. Du kannst sie halten, wenn du willst. Ist eine afrikanische Ziege. Eine Anglo-Nubian.«
    Harry sah die Ziege an. Sie begann, am Arbeitsanzug des Mannes zu nuckeln. Er wollte sie halten. Er wollte in den Pferch klettern, sich dort hinsetzen und mit allen Ziegen spielen. So wie damals mit Mum, als sie zu den Vorführungen gekommen waren, sich gemeinsam ins Stroh gesetzt hatten und eine kleine Ziege angelaufen kam und Harrys Gesicht leckte. Ihre Zunge war hart und rau gewesen, aber ihr Atem war warm an seiner Wange, und sie hatte ein kleines Meckern von sich gegeben, direkt in Harrys Ohr. Harry hatte zurückgemeckert und Mum zum Lachen gebracht. »Ich liebe Ziegen«, hatte sie gesagt.
    »Meine Tante wartet«, sagte Harry.
    Der Mann nickte. Er lächelte und setzte die kleine Ziege zu den anderen in den Pferch zurück. Harry rannte aus dem Stall und hielt seine Tüten fest an sich gedrückt, als er sich zwischen Familien und Gruppen schreiender Mädchen hindurchschlängelte.
    »Sieht aus, als hätte sich’s jemand gutgehen lassen«, sagte Tante Jean und blickte auf die Tüten, die Harry in beiden Händen hielt.
    »Die sind nicht alle für mich.«
    »Na, Hauptsache, du isst jetzt nicht zu viele von den Lutschern. Wir drehen noch eine Runde, und dann fahren wir in die Stadt zum Mittagessen. Die scheinen hier nur Corn Dogs und Pommes zu haben.«
    Harry beschloss, Tante Jean nichts von den Donuts und der Limonade zu erzählen.

I ch kann das Mittagessen bezahlen.« Harry kramte die zerknitterten Scheine und die Münzen hervor, die er in seine Tasche gestopft hatte, und legte sie auf den Tisch.
    »Ach, Harry.« Tante Jeans Augen schlossen sich sekundenlang. »Du bist deiner Mutter so ähnlich.«
    Sie wollte ihm über den Kopf streichen, hielt aber auf halbem Weg inne und zog die Hand zurück. Harry starrte auf das letzte getoastete Sandwichdreieck auf dem Tisch. Es war mit Schinken und Käse belegt.
    »Na los, nimm schon«, sagte sie.
    Harry nahm es und begann zu essen. Er versuchte, Tante Jean nicht anzusehen, weil er wusste, dass sie weinte. Sie wischte sich das Gesicht mit einem Papiertaschentuch ab und holte tief Luft.
    »Tee macht alles gleich besser, oder?« Sie goss sich etwas Tee in ihre Tasse und gab Milch dazu.
    Harry nickte.
    »Wir machen noch einen Großeinkauf im Supermarkt, bevor wir losfahren, aber es wird ganz schnell gehen. Ich will zurück sein, bevor es dunkel wird.«
    »Können wir Erdnussbutter kaufen?«, fragte Harry.
    Tante Jean schloss wieder die Augen, und Harry schob seinen Stuhl vom Tisch zurück und stand auf.
    »Ich geh nur auf Toilette«, sagte er.
    Er ließ sich Zeit. Er wusch sich die Hände zweimal und trocknete sie sorgfältig mit dem Papiertuch ab. Als er die Tür öffnete, die ins Café führte, sah er, dass mit Tante Jean wieder alles in Ordnung war. Sie lächelte ihm zu, als er sich hinsetzte.
    Die Rückfahrt war schnell vorbei. Die Sonne ging schon unter, aber es war noch hell genug. Harry konnte sich den Inhalt seiner Überraschungstüten genau ansehen, jedes einzelne Stück. Er überlegte, was Miles sich als Erstes aussuchen und essen würde. Was immer es war, er würde sich dasselbe aussuchen.
    »Danke!«, sagte Harry.
    Tante Jean nickte und lächelte. Sie lud die Einkäufe aus, stellte die Tüten aber vor der Haustür ab.
    »Sag deinem Bruder, er soll dir helfen. Ich komme nicht mit rein.«
    Das war nicht ungewöhnlich, wenn Dad zu Hause war. Tante Jean und Dad redeten nicht mehr miteinander, seit sie von Dad verlangt hatte, Onkel Nicks Anteil des Bootes zu kaufen, und er einen weiteren Kredit hatte aufnehmen müssen.
    »Hier.« Sie legte die kleinen Überraschungstüten in die Cadbury-Tüten, sodass es aussah, als hätte er nur zwei. »Besser nicht damit angeben. Gib Miles das restliche Geld, er soll darauf aufpassen.«
    Harry wäre am liebsten sofort hineingegangen, für den Fall, dass Tante Jean wieder anfangen würde zu weinen, aber er wartete, bis sie im Auto saß. Er winkte, dann öffnete er die Haustür.
    Dad saß auf der Couch vor dem Fernseher.
    »Wir waren einkaufen, Dad. Steht alles hier.«
    Dad sah kaum auf, aber er nickte.
    »Miles und ich
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