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Jenseits der Untiefen

Jenseits der Untiefen

Titel: Jenseits der Untiefen
Autoren: Favel Parrett
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und ließ ihn über die Kante fallen. Der Stein verschwand im vorbeirasenden Wasser, ohne auch nur eine Spur auf der Oberfläche zu hinterlassen.
    Man bräuchte eine Million Steine, um eine Delle zu machen.
    Als Harry sich am Straßenrand nach größeren Steinen umsah, die er in den Fluss werfen konnte, wäre er beinahe auf einen toten Beuteldachs getreten. Das Tier war perfekt erhalten, sein gestreiftes Fell und die weißgesprenkelten Wangen waren unversehrt. Harry bückte sich, um den Beuteldachs näher zu untersuchen. Nur ein getrockneter Streifen Blut, der aus dem Mundwinkel geronnen war, zeigte, dass er tot war und nicht schlief. Es musste erst vor kurzem passiert sein. Sonst wäre der Dachs bereits von einem Marder oder einem Tasmanischen Beutelteufel gefressen oder von einem Keilschwanzadler weggetragen worden.
    Joe sammelte überfahrene Tiere. Allerdings nur solche, die noch gut erhalten waren. Er häutete sie und setzte ihr Skelett, ohne Fell und Fleisch, wieder zusammen – wie die Megafauna im Hobart Museum, nur kleiner. Das größte Tier, das Joe besaß, war ein Wallaby, aber Harry mochte den Tasmanischen Teufel am liebsten, mit seinem großen Kiefer und den scharfen Zähnen. Harry fragte sich, ob er den Beuteldachs bei Joe vorbeibringen sollte. Es würde nicht lange dauern, vielleicht eine Stunde.
    Im Gras vor ihm bewegte sich etwas. Der Schwanz und das kleine Gesicht eines Hundes wurden sichtbar. Ein Welpe. Er war direkt aus den Büschen aufgetaucht, beschnüffelte den toten Beuteldachs und sah zu Harry auf. Harry blickte sich um. Aber da war niemand, dem der Hund hätte gehören können. Er kniete sich hin, ließ ihn sein Gesicht lecken und schmuste mit ihm. Es war ein australischer Kelpie. Das erkannte Harry an seinem Lächeln – die rotbraune Schnauze mit dem hellbraunen Rand. Das Tier konnte seine Freude nicht verbergen. Auch Harry freute sich.
    Der Welpe lief schwanzwedelnd von der Straße weg, drehte sich um, wollte sehen, ob Harry ihm folgte. Und Harry folgte ihm. Der Hund führte ihn zu einer dichtstehenden Baumgruppe. Dort hob Harry einen kleinen Stock auf; er piff, warf den Stock, und der Welpe schnappte danach und rannte voran. Auch Harry rannte. Er jagte hinter ihm her durch die Büsche, jagte ihm hinterher bis auf eine Lichtung. Dort sah er einen verschlammten Paddock und eine alte Holzhütte.
    Und auf einmal wusste Harry, wo er war.
    Es war das Haus von George Fuller.
    George Fuller, vor dem die Kinder in seiner Schule Angst hatten. Harry hatte ihn erst ein Mal gesehen, als er am Straßenrand gestanden hatte, aber er wollte ihm nie wieder begegnen. Sein Gesicht war zerquetscht, und er sah aus wie ein Monster. Stuart sagte, dass er die Leute in seinen Holzverschlag lockte, um sie zu essen. Andere Kinder erzählten noch schlimmere Sachen. Sie sagten, dass George seine Eltern getötet habe, dass er sie lebendig verbrannt habe, während sie im Bett lagen und schliefen, und dass er verrückt sei. Harry ging sonst nie hier entlang. Und wenn er unbedingt musste, achtete er immer darauf, dicht an der Straße zu bleiben, anstatt die Abkürzung zu nehmen.
    Der Hund ließ den Stock fallen und trottete zur Hütte. Er schleckte etwas Wasser aus einem gelben Eimer und rannte dann sofort zu Harry zurück, ein Stück alten Seils in der Schnauze. Er ließ das Seil vor Harrys Füße fallen. Harry blickte zur Hütte hinüber. Von George Fuller war nichts zu sehen, also hob er, ohne die Hütte aus den Augen zu lassen, das dick geknotete Seil auf und warf es so weit wie möglich. Der Hund war schnell. Er machte einen Luftsprung und hatte das Seil geschnappt, ehe es zu Boden fiel.
    »Guter Junge«, sagte Harry ruhig. »Aus. Lass das Seil fallen.«
    Er griff das eine Ende des Seils und zog daran. Er zog, so stark er konnte, hob den Welpen dabei fast in die Luft, aber der Hund hielt das Seil fest in den Zähnen, knurrte und zerrte es rückwärts mit sich.
     
    Ein Knarren war zu hören, und eine Tür wurde geöffnet. Harry ergriff die Flucht. Er rannte mit aller Kraft und sah sich erst um, als er den sicheren Schutz der Bäume beinahe erreicht hatte. George Fuller stand vor seiner Hütte und winkte.
    Etwas stieß gegen Harrys Bein, etwas Spitzes, und er stürzte, schlug hart auf dem Boden auf. Hitze schoss durch sein Schienbein. Jemand rief seinen Namen.
    Er sprang auf und rannte weiter, ohne sich umzusehen oder anzuhalten, bis er an der Brücke war. Dort hielt er sich am Geländer fest, rang nach Luft. Er sah
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