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Jenseits der Untiefen

Jenseits der Untiefen

Titel: Jenseits der Untiefen
Autoren: Favel Parrett
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sich sein Schienbein an. Die Haut war abgeschürft, aber es blutete nur ein bisschen.
    Es war niemand sonst dort gewesen.
    Wieso kannte dieser Mann seinen Namen?

A ls das Boot einlief, wartete Joe schon auf ihn. Er wartete im orangefarbenen Transporter. Und als Dad sagte, er könne gehen, rannte Miles los.
    Im Transporter war alles Nötige: Surfbretter, Schlafsäcke, Angelausrüstung, Werkzeug. Miles öffnete die Tür und konnte die heißen Pommes und die Soße riechen. Auf dem Mittelsitz hatte Joe einen ganzen Berg für ihn übrig gelassen, lauwarm und durchweicht, aber immer noch gut.
    »Tut mir leid, dass du arbeiten musst«, sagte Joe.
    Miles zuckte mit den Schultern. Er wollte nicht darüber reden.
    Joe fuhr schnell über den groben, staubigen Schotter der Straße, und hinter ihnen stiegen Schwaden auf. Gestrüpp und Hütten zogen am Fenster vorbei. Winzige Fertighäuser, die Zäune aus nacktem Faserzement, ungestrichen. Miles kannte sie alle. Diese Gärten voller Rostlauben, kaputter Traktoren, verrotteter Boote, die an Land gestrandet waren. Und wer es nicht besser wusste, konnte meinen, dass niemand mehr an diesen verlassenen Orten lebte. Aber irgendwo da drinnen, unsichtbar und verborgen, gab es Menschen. Sie waren da.
    Die Straße stieg an. Weniger Hütten, mehr Gebüsch, und drüben auf der anderen Seite lag Roaring. Joe hielt direkt vor der Landspitze, er parkte den Wagen nah an der Klippe, und Miles sah zum Steilufer, hinunter zum Riff. Er drehte sich zu Joe und lächelte.
    Die Brandung war prächtig. Einwandfrei. Kein Wind.
    Sie würden reingehen.
    Miles konnte im Handumdrehen im Neoprenanzug sein, auch wenn der Anzug feucht war und an der Haut klebte. Wenn die Wellen gut waren, durfte man nicht warten. Man durfte nicht warten und denken, man könnte diese Wellen auch später noch surfen, denn die Gezeiten änderten sich, und der Wind konnte in null Komma nichts anlandig sein. In null Komma nichts konnten die Wellen mit der Flut zerblasen werden, und man verpasste sie.
    Er schnappte sein Brett und rannte den steilen Pfad hinunter zum Strand. Er ließ Joe hinter sich zurück und hatte nur Augen für diesen Break da draußen, wo die Wellen sich brachen. Der Righthander, der sich eng um die Klippe herumschlang, war seiner. Er wäre zuerst da, er würde die erste Welle kriegen.
    Das kalte Wasser biss ihm in Hände und Füße, als er zu paddeln begann. Der Winter brachte starke Dünung, furchterregend anzusehen und kein Vergnügen, wenn man drin steckte, aber heute lag das Meer über dem Riff ruhig da, wie flüssiges Quecksilber. Beinahe perfekt – ein drei Fuß hoher Swell. Das Paddeln war leicht. Die Wellen waren leicht. Das Meer war friedlich.
    Er setzte sich hinter den Break, sah zurück zum Strand. Erst jetzt kam Joe den Pfad hinunter, aber er war kräftig. Er war ein guter Paddler und würde schnell hier sein. Miles hob den Kopf zum Horizont und grinste. Ein anständiger Brecher, vielleicht vier Fuß, schlug auf dem Riff auf und fing an, sich zu lösen. Manchmal brauchte man sich keinen Zentimenter zu bewegen. Die Schulter der Welle hob sein Brett an; er blickte die klare grüne Wellenwand entlang und fuhr die Welle hinunter. Er fühlte seine Knochen. Schön und locker carvte er an der Welle entlang, schnitt ab und zu scharfe Kurven, um wieder zur Lippe der Welle zu gelangen. Er hörte Joe am Strand johlen und wusste, dass er losstürmte.
     
    Joe und Miles saßen auf den Brettern und warteten gemeinsam auf einen letzten Brecher.
    Und dann sagte Joe, er würde weggehen.
    Miles saß still da. Er sah ins Wasser. Es war eine feste, dunkle Masse, unmöglich, unter die Oberfläche zu sehen, jetzt, wo das Licht verschwunden war.
    »Das Boot ist fertig. Muss nur noch ’n paar Sachen klären. Das Haus ausräumen. Vielleicht kannst du am Wochenende vorbeikommen und helfen.«
    Joes Boot, an dem er in all den Jahren gebaut hatte, war fertig. Bereit loszusegeln, bereit, Joe fortzubringen.
    »Sie ist eine blöde Kuh«, sagte Miles. Und das war sie, sie war eine blöde Kuh. Großvater hatte das Haus Joe geschenkt. Joe hatte beim Großvater gelebt, seit er dreizehn war. Tante Jean hatte es gestohlen, sie hatte das Testament angefochten.
    »Du weißt, dass sie Geld für dich beiseitelegt. Für dich und Harry. Aber egal, ums Haus geht’s gar nicht wirklich. Es geht um –«
    »Um was?«
    Joe spritzte sich Wasser ins Gesicht. Er gab keine Antwort.
    »Um was?«
    »Zeit«, sagte Joe. »Es wird einfach Zeit.«
    Alles
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