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Jenseits der Finsternis

Jenseits der Finsternis

Titel: Jenseits der Finsternis
Autoren: Michael Nagula
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existierte. Die Welt für ihn aber um so mehr. Irgendwie durfte er sich keinem Lebewesen weiter als einen halben Meter nähern. Er nahm sich vor, stets nur einsame Straßen zu benutzen. Doch …
    … welche Überraschungen würde ihm seine neue Existenzform noch bereiten?
    Führer kehrte in seine Wohnung zurück und bestellte sich eine Mahlzeit. Er erhielt eine Schüssel mit Brei, der nach nichts schmeckte. Soldatenfutter!
    Nach dem Essen brach er auf, um die schöne, neue, unbekannte Welt zu erkunden.
     
    Die ersten Tage ließ er es sich an nichts fehlen. Er durchstreifte die Stadt und bediente sich in Roboterrestaurants mit den herrlichsten Mahlzeiten und erlesensten Getränken aus Automaten.
    Er lernte rasch, wie er sich bewegen mußte. Nur noch selten geriet er in die Nähe eines Menschen und erhielt einen schmerzhaften Schlag; meist, wenn jemand von hinten an ihn herantrat.
    Er machte sich einen Spaß daraus, andere zu erschrecken. Er drang in eine Wohnung ein und warf einen Sessel um. Die Familie, die gerade aß, reagierte kaum, als wäre sie Ähnliches gewohnt. Er packte ein Buch und schleuderte es auf die Leute. Er wollte es schleudern. Tat es aber nicht. Konnte es nicht. Schreckliche Schmerzen lähmten seinen Arm, bevor er sein Vorhaben verwirklichen konnte. Also war er konditioniert, nichts zu unternehmen, was einem anderen Schaden zufügte.
    In der dritten Woche schrieb er auf eine Hausmauer:
    IN 10 MINUTEN EXPLODIERT EI …
    Es blieb ihm nicht die Zeit, den Satz zu vollenden. Mehrere Leute eilten auf die Stelle zu, an der ein Stück Wachsschreiber in der Luft schwebte. Führer ergriff die Flucht, bevor sie ihn erreichten.
    Langsam nahm die Einsamkeit zu. Er wünschte sich jemanden, der zu ihm sprach, der seine Fragen beantwortete. Nach sechs Wochen verbrachte er oft Stunden damit, Passanten anzuschreien. Sie hörten ihn nicht. Es gab keinen Commander Maxim.
    Führer verfaßte Drohbriefe und schickte sie an alle möglichen Adressen.
    Führer folgte Liebespaaren in ihr Zimmer, zog sich selbst nackt aus und sah zu, wie sie sich liebten.
    Führer suchte Higgins in seinem Büro auf, doch der beachtete die Schreibfolien mit der Bitte um ein Gespräch, die auf seinem Schreibtisch landeten, nicht.
    Führer besorgte sich Bücher. Beim Umblättern hatte er den Inhalt der eben gelesenen Seiten bereits wieder vergessen.
    Führer sprach mit sich selbst. Es tat gut, eine Stimme zu hören, die seinen Namen sagte.
    Führer ließ bei einem Antiquitätenhändler einen antiken Trommelrevolver mitgehen. Stehlen war ihm nicht verboten. Wahrscheinlich ersetzte die Regierung sämtliche Verluste.
    Führer floh vor einer Gruppe Jugendlicher, die es als Sport betrachteten, ihn zu quälen, als er sich ihnen erkennbar machte.
    Führer lag tagelang in seinem Bett, aß kaum, trank kaum.
     
    Als er am dritten Monatstag seiner Supremisierung erwachte, blickte er wieder einmal in einen Spiegel. Das Glas zeigte ein Zimmer, in dem sich niemand aufhielt. Er existierte nicht in der Welt des Spiegels. Und doch lebte er dort, war von dieser Welt abhängig.
    Er fragte sich, wie sein Gesicht jetzt aussehen mochte. Er stellte es sich bleich vor, mit eingefallenen Wangen, tief in ihren Höhlen liegenden Augen. Das Gesicht eines geschundenen Mannes.
    »Führer«, sagte er zu sich selbst, »was ist, wenn du krank wirst?«
    Er sprach sich nie mit Maxim an, sondern immer mit dem Spitznamen, den ihm seine Truppe verliehen hatte. Damals. Vor dem Überfall der verdammten Donkeys. Die mit ihrer grauen Eselshaut und den langen Ohren. Er sehnte sich nach seiner Zeit als Soldat. Der Rausch, auf einem primitiven Planeten allein gegen eine ganze Armee vorzugehen. Die Befriedigung, einen Eingeborenen nach dem anderen zu desintegrieren. Der Hohn, wenn sie flohen, von panischer Angst getrieben, ihn, Führer, für einen Gott haltend.
    »Führer«, sagte er noch einmal, »was ist, wenn du krank wirst? Niemand wird dir helfen, weil dich niemand sieht. Du wirst elend verrecken. Vielleicht sogar an einer ganz harmlosen Krankheit. Niemand wird sich um dich kümmern.«
    Diese Vorstellung trieb ihm kalten Schweiß auf die Stirn. Er zitterte, aber nicht vor Kälte, sondern vor Wut. Wir sind keine Barbaren, hatte Higgins gesagt. Nein, Barbaren waren sie nicht. Aber widerliche Sadisten. Die vielleicht nicht einmal wußten, was sie den Verurteilten antaten.
    Führer trommelte mit den Fäusten gegen die Wand. Er hatte keine Ahnung, wer neben ihm wohnte. Es war ihm
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