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Jenseits der Finsterbach-Brücke

Jenseits der Finsterbach-Brücke

Titel: Jenseits der Finsterbach-Brücke
Autoren: Antonia Michaelis
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darin stand Angst, obwohl er so ruhig tat.
    Er atmete langsam aus.
    »Ach, das erleichtert mich«, sagte er. »Ich hatte befürchtet, ich müsste dich Idioten davon abhalten, dich da drinnen versehentlich umbringen zu lassen.«
    Da war auch ich erleichtert, erleichtert, dass er mich nicht für einen Feigling hielt. Aber ich hatte nicht lange Zeit, mich darüber zu freuen. Denn plötzlich gellte ein furchtbarer Schrei durch den Wald, grell und schräg. Wir zuckten zusammen. Joern ließ das tote Lamm fallen und Flop drängte sich an seine Beine und begann zu winseln.
    »War er das?«, flüsterte ich ganz leise.
    Sekunden später teilte sich das Gestrüpp vor uns und etwas stürzte heraus. Es war Westwind. Seine Augen waren weit aufgerissen vor Schreck und er hielt nicht an, als ich seinen Namen rief. Er galoppierte einfach an uns vorbei, quer über die Lichtung, wieder hinein in den Wald und fortin Richtung Norderhof. Nein, es war nicht der Kjerk gewesen, der geschrien hatte. Es war Westwind gewesen.
    Schnell wie eine Windböe war er an uns vorbeigestürmt, und dennoch hatten wir es beide gesehen: An Westwinds Flanke hatte eine lange rote Wunde geglänzt und in seiner Mähne hatten sich zwei tiefblaue Federn verfangen. Vor uns im Dickicht, dort, wo Westwind hergekommen war, raschelte es. Und dann hörten wir etwas zischen. Da drehten wir uns gleichzeitig um und flohen, wir, die wir ausgezogen waren, den Kjerk zu finden. Denn diesmal war es nicht Almut, die im Gestrüpp raschelte.
    Diesmal war es etwas, das tötete, um zu töten. Und es hatte Westwinds frisches, warmes Blut geschmeckt.
    Der Waldboden federte unter unseren Schritten und Sonnenlicht tropfte durch die Zweige wie Honig. Aber die Vögel schwiegen. Alles, was ich hörte, waren unsere Schritte und mein eigener keuchender Atem und er klang unheimlich in der Stille. Vor mir lief Joern, den Hund Flop dicht auf den Fersen. Er war schneller als ich, obwohl er nie durch den Wald ritt und nie im klaren, murmelnden Fluss schwamm. Wie groß war meine Angst, zurückzubleiben, allein!
    »Warte, Joern!«, wollte ich rufen, doch ich konnte nicht, so außer Atem war ich.
    Es raschelte nicht mehr hinter uns, doch vielleicht bewegte der Kjerk sich jetzt lautlos fort. Ich wollte mich umdrehen und nachsehen, ob er uns folgte. Doch wenn ich mich umdrehte, würde ich Zeit verlieren, Joern verlieren, dieses wahnwitzige Spiel verlieren, das der Kjerk mit uns spielte. So rannte ich weiter, immer weiter geradeaus, Joern und seinem Hund nach. Nie war ich so schnell gerannt. Meine Füße flogen nur so über das Moos, mein Brustkorb schmerzte vom schnellen Atmen und mir wurde richtig schlecht vor Anstrengung.
    Einmal hörte ich den Schrei eines Eichelhähers ganz nah. Der Eichelhäher ist der Aufpasser des Waldes, der alle anderen warnt, wenn Gefahr droht. Ich wusste nicht, ob er schrie, weil er den Kjerk kommen sah oder weil er uns kommen sah.
    Ich versuchte noch schneller zu rennen, als ich ohnehin schon rannte – und da stolperte ich. Kurz darauf lag ich mit dem Gesicht im weichen Moos und hörte mein Herz rasen.
    War da das Rauschen von dunkelblauen Flügeln über mir? Das Kratzen von scharfen Krallen, die auf einem Ast landeten?
    Ich spürte, wie mich etwas am Arm packte und hochzog, und dann blickte ich in Joerns Gesicht. »Lasse«, keuchte er.
    Ich kam auf die Füße und einen Moment standen wir dort, mitten im Wald, und lauschten.
    »Ist er hier?«, wisperte ich. »Hörst du ihn?«
    »Nein. Vielleicht hat er unsere Spur verloren«, flüsterte Joern. »Und wenn wir sehr leise sind, findet er sie nicht wieder.«
    Also schlichen wir weiter, statt zu rennen, und darüber war ich sehr froh. Ich glaube, ich würde einen miserablenJogger abgeben. Flop lief mit eingezogenem Schwanz voraus und ab und zu winselte er kaum hörbar. Der Arme, er hatte wohl noch mehr Angst als wir.
    Nach einer Weile sahen wir etwas zwischen den Bäumen, doch diesmal war es keine Lichtung. Es war die Straße. Die Straße hatte ich ganz vergessen. Nie war ich so froh gewesen, eine Straße zu sehen! Am liebsten hätte ich mich hingekniet und den Sand und den Kies durch meine Finger rieseln lassen wie ein kleines Kind. Aber das wäre mir peinlich gewesen vor Joern …
    »Nie war ich so froh, eine Straße zu sehen«, sagte Joern und grinste. Dann kniete er sich hin und ließ den Sand und den Kies durch seine Finger rieseln wie ein kleines Kind. Und da grinste ich auch. Es war noch viel besser, einen Freund zu
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