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Jenseits der Alpen - Kriminalroman

Jenseits der Alpen - Kriminalroman

Titel: Jenseits der Alpen - Kriminalroman
Autoren: emons Verlag
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Umziehen, angelte sich die Hausschlüssel und warf die Wohnungstür hinter sich zu.
    Das Grappa war ein guter Platz, um zu verschnaufen und die Gedanken schweifen zu lassen. Eine Freundin stand dort hinter der Bar, die ihr bestimmt auch ohne Geld einen Espresso ausgeben würde.
    So war es.
    Selma versuchte, der Musik im Lautsprecher zu lauschen – sie spielten die Filmmelodie aus Moonlight –, aber es gelang ihr nicht, ihre Gedanken zusammenzuhalten. Immer wieder landeten sie bei Nunzio und der hässlichen Szene, die es so vorher noch nie gegeben hatte.
    Später wanderte sie unruhig über die Uferpromenade und schaute auf das glatte Meer hinunter und hinauf zum dünnen Mond über der stillen Stadt.
    Es war beinahe zwei Uhr früh, als Selma im Schlafzimmer ins Bett schlüpfte und tat, als schliefe sie. Ob Nunzio schlief, konnte sie nicht feststellen. Er atmete tief und schnarchte leise.
    So ging es drei, vier Tage lang. Schließlich war sie so weit, dass sie nicht mit ihm geschlafen hätte, selbst wenn sie gekonnt und gewollt hätte. Selma kratzte ein paar Münzen zusammen, ging ins Grappa und telefonierte von dort. Sie rief ihre Schwester an, die in Bielefeld mit einem Deutschen verheiratet war.
    »Das ist das Ende einer Liebe«, sagte Marta. »Und es wundert mich nicht. Komm her, wenn du Probleme hast. Du kannst bei uns wohnen.«
    Als Selma Ruspanti am nächsten Morgen die Augen aufschlug, war die Wohnung leer. Ihr Mann hatte lediglich den herben Duft seines Rasierwassers hinterlassen. Seit Tagen hatten sie keine fünf Worte mehr gewechselt. Sie zog die Vorhänge zurück. Draußen stand die Sonne hoch an einem tiefblauen Winterhimmel. Es war beinahe elf Uhr. Ihr war leicht ums Herz, und sie wusste nicht, warum.
    Beim Duschen kam ihr die widerliche Szene mit Nunzio wieder vor Augen. Doch der Schmerz und die Verbitterung, die sie noch gestern darüber empfunden hatte, waren gewichen. Sie spürte nichts als eine unbeschreibliche Erleichterung.
    Die Freundin saß vor ihrer leeren Bar in der Sonne und las die Zeitung.
    »Du siehst glücklich aus«, sagte sie zu Selma.
    »So fühle ich mich auch.«
    Seit dem Telefonat mit Marta stand Selmas Entschluss fest. Sie würde nach … sie hatte Mühe, sich den Städtenamen zu merken – Billefeld … nach Bielefeld fahren. Reisen per Anhalter war ihr geläufig. Es war einfach, und sie war jedes Mal nach kurzer Wartezeit mitgenommen worden.
    Selma ging zu ihrer Bank, die zehn Minuten weiter in der Innenstadt lag, und räumte ihr Gemeinschaftskonto ab. Es war nicht viel, doch für einige Wochen würde es reichen. Nunzio würde es früh genug merken und sich schwarzärgern, doch das war ihr egal.
    Sie hastete zur Wohnung zurück in der Hoffnung, dass sie ihm nicht begegnen würde. In Windeseile hatte sie die nötigsten Sachen zusammengerafft und gepackt. Ihr roter Rucksack und die grün-weiß gemusterte Reisetasche vom Speicher reichten dafür aus. Aus ihrem Nachttisch holte sie die kleine silberne Pistole, die sie für alle Fälle in ein Tuch gewickelt und versteckt hatte, und legte sie in ihre kleine Handtasche mit den Glasperlen. Die Handtasche verstaute sie im Rucksack.
    Als sie beim Weggehen die Haustür hinter sich ins Schloss fallen hörte, holte sie tief Luft. Erst als sie schon einige Meter Richtung Mole zurückgelegt hatte, merkte sie, dass sie Tränen in den Augen hatte.
    Auf die Fähre nach Genua musste sie nicht lange warten. Sie fuhr, vom Festland kommend, gerade ein. Es war die Linie mit der riesigen blauen Walsilhouette an der Seitenwand. Selma drängte durch das lebhafte Treiben am Kai und erstand ein Ticket für eine einfache Fahrt. Ein junger Mann wollte ihr beim Tragen helfen, als sie in den tiefen Schlund des Schiffskörpers trat und dem Fußweg an den eingeparkten Autos vorbei nach oben folgte. Die Hilfe lehnte sie ab. Sie wollte allein und selbstständig sein.
    Und das war sie dann auch. Allein mit sich und ihren Gedanken. Am nächsten Morgen würde die Fähre im Hafen von Genua anlegen. Es sollte Selmas erster Schritt in ein neues Leben werden. Dass recht bald das Gegenteil eintreten würde, konnte Selma Ruspanti in diesem Augenblick nicht im Entferntesten ahnen.

Genua – Verona – Bussolengo, Silvester 1999
    Selma Ruspanti musste ihre Gedanken sammeln, um sich ihr Reiseziel wieder vor Augen zu halten. »Bille – Biele – feld«, flüsterte sie und schlug die Augen auf.
    Ihre Kabine auf der Fähre war so groß wie eine kleine Besenkammer und bestand
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