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Jenseits der Alpen - Kriminalroman

Jenseits der Alpen - Kriminalroman

Titel: Jenseits der Alpen - Kriminalroman
Autoren: emons Verlag
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frisch gestrichenen Gebäude am Ende des Corso Umberto. Es war ein seltener Glücksfall gewesen, so eine Wohnung in bester Lage zu einem höchst erschwinglichen Preis zu ergattern. Die Vermieterin hatte einfach einen Narren an ihnen gefressen. Das dritte Zimmer war für das Baby bestimmt, das sich beide, vor allem aber Nunzio, so sehnlich wünschten. Zu jeder erdenklichen Tages- und Nachtzeit hatten sie nach der Heirat ihr Möglichstes getan, um ihrem Ziel näher zu kommen.
    »Komm, Selma, lass uns gehen«, flüsterte Nunzio ihr ins Ohr, laut genug, dass sie ihn verstehen konnte. Doch sie hätte ihn auch ohne Worte verstanden. Sein Körper sprach eine eindeutige Sprache.
    Diesem Dialog war sie nicht gewachsen. Nicht, weil sie nicht wollte. Sie konnte nicht. Seit Wochen konnte sie nicht. Sie war ausgebrannt. Zuerst hatte ihr der brutale Schichtbetrieb unten in der Fischfabrik zu schaffen gemacht. Doch als die Fischfabrik ihre Pforten schloss und Selma ihre Arbeit verlor, hatte sich der Zustand rapide verschlimmert.
    »Lass mich in Ruhe. Gib mir Zeit, Nunzio!«
    Die Wohnung lag nur fünf Gehminuten von der Commune entfernt. Nunzio konnte es nicht schnell genug gehen, die Haustür zu öffnen und Selma vor sich her nach oben in ihre Wohnung zu schieben. Er musste tief schnaufen, als sie im Flur standen. Trotzdem versuchte er sie zu umarmen, doch sie stieß ihn sanft zurück.
    Im kleinen Badezimmer blickte er in den Spiegel. Dazu musste er in die Knie gehen. Es kam ihm vor, als hätten sich die Gefäße in seinem Gesicht etwas verengt, als seien die Wangen etwas weniger gerötet, die geplatzten Äderchen etwas weniger sichtbar. Auch die Tränensäcke waren nicht mehr so gedunsen, die Gegend um die Augen wirkte straffer. Gegen Selmas zartes, fein geschnittenes Gesichtchen wirkte er mit diesem fleischigen Anblick noch immer deplatziert, das war ihm klar. Dass seine Augen verdächtig glänzten und er pausenlos nach Alkohol roch, fiel ihm nicht weiter auf. Der ganze Mann, fand er, wirkte jünger, seit er seinen Alkoholkonsum ein wenig gezügelt hatte. Fand er.
    Vielleicht, dachte Nunzio Ruspanti, hat jetzt endlich meine Glückssträhne begonnen. Erwartungsvoll riss er die Tür auf.
    »Selma!«, rief er.
    Doch Selma war nicht zu sehen. »Selma, komm her. Sofort!«
    Er hatte das dringende Bedürfnis nach Sex. Ihr die Kleider vom Leib zu reißen und über sie herzufallen, wo immer sie sich gerade aufhielt.
    »Selma!«
    Er stürmte ins Wohnzimmer. Sie stand bei geöffneter Tür am Balkon. Er ging hin und baute sich vor ihr auf, während ihm das Wasser im Mund zusammenlief. »Komm ins Bett«, befahl er in einem Ton, der um eine Nuance sanfter war als vorhin, und zog sie an den Armen ins Innere.
    »Ich hab dir schon gesagt, dass ich im Moment nicht kann, Nunzio. Hab Geduld mit mir.«
    Seine Miene verzerrte sich, die Augen flackerten. »Du willst also nichts mehr von mir wissen? Kein Baby? Meine Geduld ist langsam zu Ende. Ist das dein letztes Wort?«, schrie er sie an.
    Sie zuckte zusammen und sah ihn von unten an. »Ja.«
    »Ohne mich wärst du noch immer, wo du hergekommen bist. Geh doch wieder dorthin!«
    Etwas Eigenartiges ging in Selma vor. Ein Ruck durchfuhr sie, die hängenden Schultern strafften sich, sie drückte die Knie durch, ihre Augen leuchteten Nunzio herausfordernd an. »Leck mich!«, zischte sie.
    Er stand da, die Linke in der Hosentasche, und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, dass er wieder getrunken hatte. Bei Leuten, die ihn nicht kannten, mochte das funktionieren. Doch Selma wusste, dass ihm dann immer das rechte Auge zufiel. Es war ein untrügliches Anzeichen. Er zog die andere Augenbraue hoch, um das Lid offen zu halten. Jetzt aber erkannte sie noch etwas anderes in seinem Blick: Feindseligkeit und Wut.
    Nunzio holte aus und versetzte ihr eine schallende Ohrfeige.
    Selma holte aus und schlug zurück. Danach drehte sie sich wortlos um, ging zurück auf den Wohnzimmerbalkon und wartete.
    Nichts rührte sich. In den Augenwinkeln bemerkte sie, wie er ein Taschentuch in die Hand nahm und sich kopfschüttelnd schnäuzte.
    Nach einer Weile wurde es ihr zu dumm. Sie stolzierte erhobenen Hauptes durchs Wohnzimmer, um sich im Schlafzimmer etwas anderes anzuziehen und zurechtzumachen. Sie stolperte über etwas und stürzte gegen die Wand. Ihr Handgelenk begann zu schmerzen. Sie blickte zurück. Ihr Mann hatte hinter der Tür gelauert und ihr ein Bein gestellt.
    »Arschloch!«, zischte sie, verzichtete auf das
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