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Jenseits der Alpen - Kriminalroman

Jenseits der Alpen - Kriminalroman

Titel: Jenseits der Alpen - Kriminalroman
Autoren: emons Verlag
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Tür des Lkws hatte sich einen Armbreit geöffnet, der Fahrer schaute zu ihnen her. Amelie warf den Rucksack halb über die Schulter. Giorgio zog wie verrückt. Die Zunge hing ihm bis zum Boden, und die Augen fielen beinahe aus den Höhlen.
    Giorgio war ein knapp vierjähriger hellbrauner Terriermischling mit Schlappohren, wuschelig von vorn bis hinten. Er ging Amelie bis zum Knie. Amelie war zwanzig Jahre alt, trug Jeans, hatte eine marineblaue Jacke über einem gestreiften hellen Top an und fast nur Bücher im Rucksack. Ihre Gesichtszüge waren regelmäßig, wenn man sie auch nicht unbedingt schön nennen konnte. Das Gesicht war von einer karottenroten Mähne umrahmt, die bis über die Schultern reichte. Die unvermeidliche Sonnenbrille war hochgeschoben und klebte im Haargestrüpp. Als sie den Fahrer anstrahlte, kamen zwei Reihen Zähne zum Vorschein, die ebenmäßig und weiß wie die eines Kindes waren. Ihre Augen im gebräunten Teint waren von einem tiefen Enzianblau und leuchteten mit den gleichfarbigen Ohrringen, die zu beiden Seiten des Gesichts baumelten, um die Wette.
    Amelies Augen blitzten nur so vor Gesundheit und guter Laune. Sie strahlte, ohne es wahrzuhaben, eine naive und urwüchsige Sinnlichkeit aus.
    »Wohin wollt ihr?«, rief der Fahrer.
    Amelie war etwas außer Puste. Der Hund hechelte und wedelte mit dem Schwanz.
    »Nach Innsbruck«, rief sie lachend zu ihm hinauf. Ihr tirolerischer Akzent war unüberhörbar.
    Der Fahrer nickte. Trotz eines wilden Mehrtagesbarts kam er ihr vertrauenerweckend vor. »Passt. Steigt ein.« Er beugte sich hinüber und warf die Beifahrertür auf.
    Das Mädchen und der Hund rannten um die Motorhaube herum. »Darf der Hund mit?«, fragte Amelie vorsichtshalber.
    Der Fahrer lachte laut. Das machte ihn noch sympathischer. »Würdest du denn ohne Hund einsteigen?«, rief er hinunter.
    Sie schüttelte den Kopf, während er ihr die Hand hinhielt.
    »Na siehst du«, sagte er und zog die Hand wieder ein, als sie nach der Haltestange griff und sich mit dem Hund auf dem anderen Arm die drei Stufen zum Führerhaus emporhangelte.
    Amelie setzte Giorgio am Fußboden ab und lehnte sich zurück.
    »Anschnallen!«, befahl er.
    Erst dann setzte sich der schwere Truck in Bewegung. Das Radio lief leise. Kurze Zeit später waren sie schon auf der Autobahn. Amelie legte Giorgio die flache Hand auf den Kopf. Das beruhigte ihn. Er ruckelte sich flach auf dem Boden zwischen ihren Füßen in eine geeignete Ruheposition.
    »Wo kommt ihr her?«, fragte der Fahrer. »Ich heiße übrigens Thorsten.«
    Amelie wollte nicht einfach so auf Anhieb persönliche Details preisgeben. Sie schwieg.
    Er warf einen flüchtigen Blick herüber. Er sagte nichts. Dann angelte er mit einer Hand eine Zigarette aus der Packung, steckte sie in den Mund und zündete sie mit derselben Hand an. Am Mund hatte er eine kleine Narbe.
    Die Auffahrt hatte Rovereto Nord geheißen, nun näherten sie sich Trento. Der Motor brummte gleichmäßig, sie fuhren exakt fünfundachtzig Stundenkilometer. Beiderseits der Autobahn breiteten sich weite Apfelplantagen aus, die Blüte ließ noch auf sich warten. Amelie machte die Fahrt nicht zum ersten Mal, sie kannte sich aus.
    Den Rucksack hatte sie neben Giorgio abgestellt. Sie öffnete ihn und holte zwei Äpfel heraus, die ihr die Großmutter mitgegeben hatte.
    »Möchten Sie einen?«, fragte sie den Fahrer. »Thorsten?«
    Er grinste, schüttelte den Kopf und wippte die brennende Zigarette ein paarmal im Mund auf und ab.
    »Wie heißt denn dein Hund? Verrätst du mir wenigstens das?«
    »Giorgio«, nuschelte Amelie apfelkauend.
    »Wie?«
    Sie schob den unzerkauten Rest in die andere Wange. »Giorgio.«
    Eine Zeit lang unterhielten sie sich über den Hund.
    »In Brixen muss ich runter«, sagte er plötzlich und sah ihr in die Augen.
    »Wie, runter?«, fragte sie überrascht. Brixen kam hinter Bozen, das fünfundzwanzig Kilometer vor ihnen lag.
    »Na, von der Autobahn runter. Richtung Bruneck. Ich muss in Bruneck was abliefern.« Wieder sah er sie direkt an.
    Sein Blick löste etwas in ihr aus, was ihr den Magen zusammenzog. Das gleiche Gefühl hatte sie verspürt, als im vergangenen Jahr vor ihren Augen eine Katze überfahren worden war. Deren Eingeweide waren bis zu ihr hingespritzt und hatten ihre Schuhe beschmutzt. Eine leichte Unruhe begann in ihr aufzusteigen.
    Verstohlen schaute sie noch einmal hin. Seine Augen waren blau oder grau oder grün, schwer zu sagen. Der Mund war leicht
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